Internet der Natur: Von stillen Signalen und gestörten Gesprächen in der Wildnis

Internet der Natur: Von stillen Signalen und gestörten Gesprächen in der Wildnis

Neue Forschungsergebnisse zeigen, warum der Informationsaustausch zwischen Arten

entscheidend ist für die Stabilität von Ökosystemen.

(Bild: Redaktion/GPT4o)

Wenn ein Geier über der Savanne kreist, schaut ihm nicht nur der Tourist mit Fernglas hinterher – auch die Hyäne hebt den Kopf. Kein Laut, kein Geruch, keine direkte Begegnung, und doch wurde eine Botschaft übermittelt: Hier gibt es vielleicht Nahrung. Willkommen im „Internet der Natur“, jenem verborgenen Netzwerk, das weit mehr ist als Nahrungskette oder Energiefluss. Es ist ein komplexer Datenstrom aus Sinneseindrücken, Reaktionen und stiller Verständigung – und, wie neue Forschung zeigt, entscheidend für das Gleichgewicht unseres Planeten.

Kommunikation jenseits des Kabels

Was sich anhört wie ein poetisches Bild, ist für Dr. Ulrich Brose vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) bittere Realität: „Ohne Informationsflüsse verstehen wir Ökosysteme nur zur Hälfte.“ Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Universität Jena hat er das „Internet der Natur“ in einer aktuellen Studie in Nature Ecology and Evolution entschlüsselt – mit verblüffenden Ergebnissen.

Denn Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen tauschen nicht nur Energie oder Biomasse aus – sie „sprechen“ miteinander. Sie senden, empfangen und deuten Signale, ganz so, als würden sie sich in einem natürlichen WLAN bewegen. Manchmal geht es um Leben und Tod, wie bei einem Elch, der den Wolf wittert. Manchmal um Gelegenheit, wie bei der Spinne, die ihr Netz nahe einer Straßenlaterne baut. Immer aber geht es um das große Ganze – das reibungslose Zusammenspiel im Gefüge des Lebens.

Drei Ebenen des natürlichen Datenaustauschs

Die Forschenden unterscheiden drei Arten solcher Informationsflüsse: trophische, reine und Umweltinformationsflüsse.

  • Trophische Informationsflüsse sind klassische „Räuber-und-Beute“-Signale: Der Jäger schärft seine Sinne, die Beute verändert ihr Verhalten – ein Katz-und-Maus-Spiel in Echtzeit.
  • Reine Informationsflüsse entstehen zwischen Arten ohne direkte Nahrungsbeziehung. Wenn eine Hyäne dem Geier folgt, nutzt sie dessen Verhalten als Hinweisgeber.
  • Umweltinformationsflüsse schließlich steuern das Verhalten in Bezug auf äußere Reize: Motten meiden Licht, Chamäleons wechseln ihre Farbe, Spinnen reagieren auf Vibrationen.

Menschliche Störungen im Datenverkehr

Doch das System hat eine Schwachstelle: den Menschen. Lärm, Lichtverschmutzung und mechanische Vibrationen stören die natürlichen Signale – wie ein ständiges Rauschen in einer sonst klaren Leitung. „Straßenverkehr beeinträchtigt die Kommunikation von Ameisen, die auf Vibrationssignale angewiesen sind“, warnt Co-Autorin Dr. Myriam Hirt. Auch Pheromonbahnen, Orientierungssignale oder akustische Warnungen verlieren durch unsere Aktivitäten ihre Wirkung.

Die Folge? Verwirrung, Isolation, fehlerhafte Reaktionen – und auf Dauer instabile Ökosysteme.

Vom Schutz des Unsichtbaren

Die neue Perspektive zeigt: Naturschutz darf sich nicht auf Biotope und Artenzahlen beschränken. Er muss auch die Informationswege zwischen Arten schützen – durch leisere Maschinen, dunklere Nächte und ein besseres Verständnis für die sensiblen Netzwerke um uns herum.

Denn was unsichtbar ist, ist nicht unwichtig. Im Gegenteil: Es sind die leisen Töne, die das Konzert der Natur am Laufen halten. Und wer ihnen zuhört, erkennt vielleicht, dass auch wir Teil dieses stillen Internets sind – nicht nur als Störer, sondern hoffentlich auch als Hüter.

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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