Agri-Photovoltaik kann Deutschlands Klimaziele deutlich übertreffen

Agri-Photovoltaik kann Deutschlands Klimaziele deutlich übertreffen

Anders als etwa bei Maisanbau für Biogasanlagen – Stichwort: Konkurrenz zwischen Teller und Tank – ist Agri-Photovoltaik immer eine Win-Win-Situation – denn viele Pflanzen profitieren in Zeiten des Klimawandels von der partiellen Beschattung. Das Potenzial ist gigantisch: Deutschland könnte sogar zum Netto-Exporteur von Agri-Solarstrom werden.

(Bild: Fraunhofer ISE)


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Wer Deutschlands Energiewende vor sich sieht, denkt an Solarmodule auf Dächern und Windräder auf Hügeln. Doch eine stillere Revolution könnte auf dem Acker stattfinden – genauer gesagt: darüber. Agri-Photovoltaik, also die kombinierte Nutzung landwirtschaftlicher Flächen zur Lebensmittel- und Stromerzeugung, hat ein überraschend hohes Potenzial. So hoch, dass es die offiziellen Klimaziele übertrifft.

Doppelt geerntet: Strom und Lebensmittel

Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) hat in mehreren Studien berechnet, welche Flächen in Deutschland für Agri-Photovoltaik (Agri-PV) infrage kommen – und wie viel Leistung dort installiert werden könnte. Dabei wurden erstmals alle Arten landwirtschaftlicher Nutzung einbezogen, von Acker- über Dauergrünland bis zu Sonderkulturen wie Obst- und Weinanbau.

Die Forscherinnen und Forscher nutzten Geoinformationssysteme und einen doppelten Kriterienkatalog: Ein erster bewertete geografische, rechtliche und technische Voraussetzungen; ein zweiter ergänzte wirtschaftliche und agrarstrukturelle Kriterien. Das Ergebnis: Selbst auf den am besten geeigneten Flächen könnten rund 500 Gigawatt Peak (GWp) Photovoltaik-Leistung installiert werden. Zum Vergleich: Die Ausbauziele der Bundesregierung für das Jahr 2040 liegen deutlich darunter. »Es ist die erste Studie in Deutschland, die für die Identifikation geeigneter Standorte alle Arten landwirtschaftlicher Flächen betrachtet, also Dauergrünland, Ackerfläche und Dauerkulturen wie Obstbau, Wein oder Beeren«, erklärt Studienautorin Salome Hauger.

Zwischen Schutz und Strom: Zwei Szenarien, viele Gigawatt

Um Konflikte mit Umwelt- und Naturschutz zu vermeiden, unterscheiden die Analysen zwischen einem restriktiveren und einem liberaleren Szenario. In der naturschutzfreundlicheren Variante („Szenario 2“) ergibt sich dennoch ein theoretisches Potenzial von 5600 GWp – das entspricht fast dem Zehnfachen der Kapazität, die Deutschland laut Bundes-Klimaplan für 2045 benötigt.

Ein solches rechnerisches Maximum sagt zwar nichts über politische Umsetzbarkeit oder gesellschaftliche Akzeptanz, doch es zeigt, wie groß der Spielraum ist. Und wo die Hürden liegen: »Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist die Rolle des Netzausbaus: Das Fehlen von Netzanschlusspunkten ist für viele Flächen ein einschränkender Faktor«, so Hauger.

Ein Index für den Sonnen-Acker

Besonders interessant: Die Forschenden entwickelten einen „Bodeneignungsindex“, der Flächen nach ihrer Solartauglichkeit klassifiziert – je nach Besonnung, Nähe zum Stromnetz und agrarischer Nutzbarkeit. Besonders Weinbaugebiete und Obstanlagen schneiden gut ab, da sie durch die Modulüberdachung sogar von reduzierter Verdunstung und Schutz vor Extremwetter profitieren können.

»Diese Studien liefern eine solide Datengrundlage für politische Entscheidungsträger und Interessengruppen, um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu fördern und zur Erreichung der Klimaziele beizutragen«, betont Anna Heimsath vom Fraunhofer ISE.

Vom Alten Land bis in den Breisgau

Wie sich das Konzept regional umsetzen lässt, zeigen Pilotanalysen etwa in Hamburg, Ahrweiler und Breisgau-Hochschwarzwald. Im Alten Land und den Vier- und Marschlanden etwa sind bis zu 620 Hektar Dauerkulturen besonders geeignet, während in bestehenden Gewächshäusern rund 50 Megawatt Peak installiert werden könnten.

In Ahrweiler und dem Breisgau könnten Agri-PV-Anlagen auf optimalen Flächen bis zu 16 beziehungsweise 12 Prozent des aktuellen Energiebedarfs der Landkreise decken. Das sei mehr als ein ökologisches Add-on, so die Forschenden – es sei eine strategische Lösung zur Entschärfung von Flächenkonflikten.

Ein Puzzle für die Politik

Die Studien liefern nicht nur Zahlen, sondern ein Werkzeug für die Raumplanung. Mithilfe von GIS-Systemen, verknüpft mit lokalen Netzdaten, lassen sich auch auf Gemeindeebene geeignete Flächen identifizieren. Damit könnte Agri-PV zu einem präzise steuerbaren Element der Energiewende werden.

Während klassische PV-Freiflächenanlagen oft in Konkurrenz zur Landwirtschaft stehen, bietet Agri-PV das Potenzial zur Win-win-Lösung. Doch aus Potenzial muss noch Realität werden – durch politische Förderung, Netzausbau und lokale Akteure, die beides denken: Ernährungssicherheit ebenso wie Energiesicherheit.


Kurzinfo: Agri-Photovoltaik in Deutschland

  • Was ist Agri-PV? Doppelnutzung landwirtschaftlicher Flächen für Strom- und Lebensmittelproduktion.
  • Flächenpotenzial laut Fraunhofer ISE:
    • 500 GWp auf optimal geeigneten Flächen
    • bis zu 5600 GWp (Szenario 2) theoretisch möglich
  • Besonders geeignet: Dauerkulturen wie Obst- und Weinbau
  • Hindernisse: fehlende Netzanschlüsse, Genehmigungsverfahren
  • Vorteile: Schutz der Pflanzen, effizientere Landnutzung, Beitrag zur Klimaneutralität
  • Beispielregionen: Hamburg (620 ha), Ahrweiler (16 Prozent Energiebedarf), Breisgau (12 Prozent)
  • Fazit: Agri-PV ist kein Nischenprojekt, sondern ein ernstzunehmender Baustein der Energiewende.

Originalpublikation:
Salome Hauger et al.,
„Spatial potential analysis and site selection for agrivoltaics in Germany“,
in: Renewable and Sustainable Energy Reviews
(Volume 213, May 2025, 115469)
DOI: https://doi.org/10.1016/j.rser.2025.115469

Über den Autor / die Autorin

Arty Winner
Arty Winner
Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.

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