Lange Bauzeiten, und am Ende 100 Prozent teurer als geplant: eigentlich müssten Investoren grundsätzlich vor AKW-Projekten zurückschrecken.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
Die Energiewende braucht Tempo – und gewaltige Investitionen. Laut Prognosen der Internationalen Energieagentur werden bis 2050 weltweit über 100 Billionen US-Dollar in den Aufbau klimaneutraler Infrastrukturen fließen. Doch eine neue Studie des Boston University Institute for Global Sustainability (IGS) schlägt Alarm: Bauverzögerungen und Kostenüberschreitungen sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Im Durchschnitt werden Energieprojekte vierzig Prozent teurer als geplant und benötigen fast zwei Jahre länger. Für Investoren, Regierungen und Versorgungsunternehmen stellt sich damit die Frage: Welche Technologien sind nicht nur nachhaltig, sondern auch planungssicher?
Atomkraft: Hochriskant trotz hoher Versprechen
Den mit Abstand größten Risikofaktor unter allen untersuchten Technologien stellt die Kernenergie dar. Atomkraftwerke überschreiten ihre geplanten Baukosten im Schnitt um über 100 Prozent – konkret um 102,5 Prozent. Das bedeutet durchschnittlich 1,56 Milliarden US-Dollar Mehrkosten pro Projekt. Die größten Verzögerungen im Zeitplan kommen ebenfalls hier vor.
„Ich bin besonders beeindruckt von unseren Ergebnissen zu den negativen Skaleneffekten: Projekte mit mehr als 1.561 Megawatt Kapazität weisen ein signifikant höheres Risiko für Kostensteigerungen auf“, sagt Hanee Ryu, Zweitautorin der Studie und Gastforscherin am IGS. Diese Erkenntnis trifft besonders große Atomkraftwerke, die oft mit einem Versprechen auf stabile Grundlast und Energiesicherheit gebaut werden – sich aber als schwer kalkulierbare Megaprojekte entpuppen.
Neue Hoffnungsträger mit alten Problemen
Auch neue Technologien, die im Kampf gegen den Klimawandel als Hoffnungsträger gelten, zeigen Schwächen. Anlagen zur Wasserstoffproduktion oder zur Abscheidung und Speicherung von CO₂ (Carbon Capture and Storage) weisen signifikante Verzögerungen und Mehrkosten auf. Dabei sollen genau diese Technologien in den kommenden Jahrzehnten stark ausgebaut werden – auch mit öffentlichen Geldern.
„Besorgniserregend ist, dass diese Ergebnisse ein ernstzunehmendes Warnsignal für den Ausbau einer Wasserstoffwirtschaft darstellen“, erklärt Benjamin Sovacool, Erstautor der Studie, Professor an der Boston University und Direktor des IGS. Die Zweifel an der Umsetzbarkeit dieser Infrastrukturen innerhalb realistischer Zeit- und Budgetrahmen wachsen – was auch die politischen Ambitionen zur Klimaneutralität unter Druck setzt.
Solarenergie: Günstig, planbar, zukunftssicher
Während sich viele Projekte als Kostenfalle entpuppen, zeigt die Studie auch eine erfreuliche Ausnahme: Solarenergie. Sowohl Photovoltaik- als auch Solarthermieanlagen schneiden bei der Bewertung von Baukosten und Zeitmanagement überdurchschnittlich gut ab. Viele Projekte bleiben im Budget, einige werden sogar früher fertig als geplant. Ähnlich stabil zeigen sich auch Windparks und Projekte zur Erweiterung von Stromnetzen.
„Erneuerbare Energien wie Wind und Solar haben nicht nur klimapolitische und sicherheitsrelevante Vorteile, sondern auch klare finanzielle Stärken: geringeres Baukostenrisiko und weniger Verzögerungen“, so Sovacool. „Das ist ein unterschätzter sozial-ökonomischer Mehrwert.“
Diese Erkenntnisse könnten für Investoren und politische Entscheidungsträger ein entscheidender Faktor sein. Denn neben Umweltzielen zählen zunehmend auch wirtschaftliche Risiken – vor allem bei langfristigen Infrastrukturprojekten mit milliardenschwerem Volumen.
Klein, modular, risikoarm: Ein neuer Denkansatz
Eine zentrale Botschaft der Studie ist: Größe ist kein Garant für Effizienz. Im Gegenteil – besonders große Projekte neigen dazu, die geplanten Budgets und Zeitfenster dramatisch zu sprengen. Dies liegt nicht nur an technischen Herausforderungen, sondern auch an politischen Unsicherheiten, Genehmigungsprozessen und mangelnder Erfahrung mit neuen Technologien.
Kleinere, modulare Projekte hingegen bieten mehr Flexibilität, höhere Planbarkeit und geringeres finanzielles Risiko. Das spricht für einen strategischen Wandel – weg von zentralistischen Großprojekten, hin zu dezentralen, skalierbaren Lösungen: „Kleine erneuerbare Projekte sind nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern können auch ökonomisch vorteilhaft sein“, so Ryu.
Kurzinfo: Kostenüberschreitung im Blick
- Titel der Studie: Beyond economies of scale
- Datenbasis: 662 Projekte in 83 Ländern, Bauzeitraum 1936–2024
- Gesamtes Investitionsvolumen: 1,358 Billionen US-Dollar
- Höchste Kostenüberschreitung: Atomkraftwerke (+102,5 %)
- Schlechteste Planbarkeit: Wasserstoff, CCS, thermische Gaskraftwerke
- Geringstes Risiko: Solarenergie, Windkraft, Stromnetze
- Empfehlung: Fokus auf kleinere, skalierbare Projekte mit planbarerem Risiko
- Relevanz: Wegweiser für Investitionen in globale Dekarbonisierungsprojekte bis 2050
Originalstudie:
Benjamin K. Sovacool & Hanee Ryu:
Beyond economies of scale: Learning from construction cost overrun risks and time delays in global energy infrastructure projects, in: Energy Research & Social Science, Vol. 123, May 2025
https://doi.org/10.1016/j.erss.2025.104057
Über den Autor / die Autorin

- Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.
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