Augentropfen statt Lesebrille – neue Lösung für Kurzsichtigkeit im Alter?

Augentropfen statt Lesebrille – neue Lösung für Kurzsichtigkeit im Alter?

Langzeit-Tests zeigen: Die Tropfen sind kein Allheilmittel, für viele könnten sie aber den Alltag erleichtern: morgens und mittags ein Tropfen, und das Buch oder das Smartphone wird wieder lesbar.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


Mit zunehmendem Alter verschwimmen die Buchstaben: Presbyopie, die Altersweitsichtigkeit, betrifft früher oder später alle. Millionen greifen deshalb zur Lesebrille, manche lassen sich operieren. Doch eine Studie aus Buenos Aires bringt eine neue Option ins Spiel – unscheinbare Tropfen, die täglich ins Auge gegeben werden.

Tropfen gegen die Unschärfe

Präsentiert wurden die Ergebnisse beim 43. Kongress der Europäischen Gesellschaft für Katarakt- und Refraktive Chirurgie (ESCRS). 766 Patientinnen und Patienten, durchschnittlich 55 Jahre alt, erhielten spezielle Tropfen, die aus zwei bekannten Wirkstoffen bestehen: Pilocarpin, das die Pupille verengt und die Fokussierung des Auges erleichtert, sowie Diclofenac, ein entzündungshemmendes Mittel, das Nebenwirkungen abmildert.

Dr. Giovanna Benozzi vom Center for Advanced Research for Presbyopia in Buenos Aires, die die Studie leitete, betont den Bedarf: „Wir haben diese Forschung betrieben, weil es im Management der Presbyopie einen erheblichen ungedeckten Bedarf gibt. Brillen sind oft unbequem, Operationen mit Risiken verbunden. Viele Patientinnen und Patienten brauchen sichere, nicht-invasive Alternativen.

Rasche Wirkung – anhaltender Effekt

Bemerkenswert: Schon eine Stunde nach der ersten Gabe konnten die Teilnehmenden im Schnitt 3,45 zusätzliche Linien auf der Jaeger-Tafel lesen. Dieser Effekt hielt an, bei einigen bis zu zwei Jahre. „99 Prozent der Patientinnen und Patienten in der Gruppe mit einprozentigem Pilocarpin erreichten optimale Nahsicht und konnten zwei oder mehr zusätzliche Zeilen lesen. Rund 83 Prozent behielten diese Sehschärfe nach einem Jahr“, berichtete Benozzi.

Unterschiedliche Konzentrationen brachten dabei unterschiedliche Ergebnisse: Bei zwei Prozent Pilocarpin konnten 69 Prozent drei zusätzliche Zeilen lesen, bei drei Prozent waren es 84 Prozent.

Nebenwirkungen und Risiken

Ganz ohne Nebenwirkungen ging es nicht. Rund ein Drittel berichtete von kurzfristig gedämpftem Sehen, andere von leichter Reizung oder Kopfschmerzen. Schwerwiegende Komplikationen wie erhöhter Augeninnendruck oder Netzhautablösungen traten nicht auf. Dennoch mahnen Expertinnen und Experten zur Vorsicht.

Professor Burkhard Dick, Direktor der Universitätsaugenklinik Bochum und Präsident elect der ESCRS, war an der Studie nicht beteiligt. Sein Kommentar: „Die Tropfen sind vielversprechend, aber wir brauchen längerfristige, multizentrische Studien, bevor eine breite Empfehlung möglich ist. Pilocarpin kann bei Dauergebrauch die Nachtsicht einschränken, NSAIDs bergen Risiken für die Hornhaut.

Kein Ersatz für alle

Die Tropfen sind kein Allheilmittel. Für viele könnten sie aber den Alltag erleichtern: morgens und mittags ein Tropfen, und das Buch oder das Smartphone wird wieder lesbar. Benozzi betont: „Dieses Verfahren soll Operationen nicht ersetzen, sondern eine wertvolle Option für diejenigen sein, die Alternativen suchen und die Brille nicht ständig brauchen möchten.

Auch interessant: Die Studie ist die erste systematische Untersuchung, die drei verschiedene Konzentrationen direkt vergleicht. Einschränkend bleibt allerdings, dass es sich um eine retrospektive Untersuchung an einem einzigen Zentrum handelt – mögliche Verzerrungen sind also nicht auszuschließen.

Blick in die Zukunft

Für Benozzi geht es nun darum, weitere Fragen zu klären. Wie wirkt sich die Behandlung auf die Lebensqualität der Betroffenen aus? Welche physiologischen Mechanismen spielen genau eine Rolle? Und: Wie individuell muss die Dosis gewählt werden? Erste Hinweise deuten darauf hin, dass leichtere Fälle mit niedriger Konzentration auskommen, während fortgeschrittene stärker dosierte Tropfen brauchen.

Für Millionen Menschen, die sich täglich die Lesebrille auf die Nase setzen, bleibt die Botschaft spannend: Vielleicht reicht bald ein kleiner Tropfen, um die Welt wieder scharf zu sehen.


Kurzinfo: Presbyopie-Therapie mit Tropfen

  • Presbyopie betrifft alle Menschen im Alter, erschwert das Lesen in der Nähe
  • Klassische Lösungen: Lesebrillen oder chirurgische Eingriffe
  • Studie mit 766 Patientinnen und Patienten in Buenos Aires
  • Wirkstoffkombination: Pilocarpin (Fokussierung) + Diclofenac (Entzündungshemmung)
  • Anwendung: zwei- bis dreimal täglich
  • Verbesserungen: im Schnitt 3,45 zusätzliche Zeilen auf der Jaeger-Tafel
  • Effekt hielt bis zu zwei Jahre an
  • Nebenwirkungen meist mild: gedämpftes Sehen, Reizungen, Kopfschmerzen
  • Noch fehlen große multizentrische Langzeitstudien
  • Studie vorgestellt beim ESCRS-Kongress, September 2025


Originalpublikation:
Giovanna Benozzi et al., ‘Dose-dependent efficacy and safety of pilocarpine-diclofenac eye drops for presbyopia: a real-world single-center study”, https://pag.virtual-meeting.org/escrs/escrs2025/en-GB/pag/presentation/570375

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Proudly powered by WordPress