[Buchtipp] Hexen, Zicken, Mädchen mit gewissem Etwas – Rebekka Endlers Spurensuche im Maschinenraum des Patriarchats

[Buchtipp] Hexen, Zicken, Mädchen mit gewissem Etwas – Rebekka Endlers Spurensuche im Maschinenraum des Patriarchats

Der Titel ist keine Schlagwortparade: Die Hexenprozesse des Mittelalters, die Schmähung von Frauen als „Bitches“ in Pop- und Medienkultur, die Vergötterung und Abwertung von It-Girls der Gegenwart – all das gehört zu einem langen Faden misogyn geprägter Erzählungen.

(Bild: Coverdetail/Rowohlt)


Zu diesem Beitrag gibt es auch einen Podcast.


Wenn Podcasterin und Autorin Rebekka Endler kritische Studien in Sachen Patriarchat betreibt, klingt es nie nach einer trockenen Geschichtsstunde. Schon ihr Bestseller Das Patriarchat der Dinge bewies, wie scharf sie Missstände seziert und wie pointiert sie sie in Sprache verwandelt. Mit Witches, Bitches, It-Girls legt sie nun ein neues Werk vor – eine anekdotische Zeitreise durch Mythen, Stereotype und Erzählungen, die bis heute das Leben von Frauen prägen. Endler zeigt, dass das Patriarchat kein abstraktes Gebilde ist, sondern ein System, das von allen täglich mitgetragen wird.

Von Hexen zu It-Girls

Der Titel wirkt wie eine Schlagwort-Parade, die auf den ersten Blick kaum zusammenpasst. Doch Endler entfaltet darin eine genealogische Spur: Die Hexenprozesse des Mittelalters, die Schmähung von Frauen als „Bitches“ in Pop- und Medienkultur, die Vergötterung und Abwertung von It-Girls der Gegenwart – all das gehört zu einem langen Faden misogyn geprägter Erzählungen. Die Autorin zeigt, wie diese Bilder weiterwirken, selbst wenn die historischen Kontexte längst verblasst sind. Frauenfiguren werden so in Rollen gezwungen, die zwischen Bedrohung, Verachtung und konsumierbarer Oberfläche changieren.

Patriarchale Mechanik im Hintergrund

Endler spricht vom „Maschinenraum des Patriarchats“. Gemeint ist die Ebene, auf der Entscheidungen darüber fallen, welche Kunstwerke kanonisiert, welche Narrative weitergetragen und welche Stimmen zum Schweigen gebracht werden. Die Romantik etwa, oft verklärt als Epoche der Empfindsamkeit, wird hier unter dem Blickwinkel weiblicher Unsichtbarkeit betrachtet. Endler fragt: Wer wird gefeiert, wer vergessen? Und warum? Ihre Antwort zeigt, dass vermeintliche Normalität kein Naturgesetz ist, sondern Ergebnis von Machtstrukturen.

Von Märchenprinzen und Tradwives

Spannend ist die Aktualisierung dieser alten Muster. Endler fragt, weshalb auch im 21. Jahrhundert noch Frauen vom rettenden Märchenprinzen träumen – oder sich in der Online-Szene der „Tradwives“ sammeln, die das Hausfrauenideal propagieren. In der Mommy-Blogger-Kultur entdeckt sie ein Paradox: Einerseits der Versuch, Selbstermächtigung zu inszenieren, andererseits die Reproduktion klassischer Geschlechterrollen. Ihre Analyse bleibt dabei nicht bei der Kritik stehen, sondern öffnet Räume für Fragen: Welche Sehnsüchte stecken hinter solchen Phänomenen? Welche Lücken füllt das Patriarchat, die bisherige Emanzipationsbewegungen offenließen?

Humorvoll, kämpferisch, scharf

Wer Endler liest, erlebt eine Mischung aus Scharfsinn und Ironie. Sie kann historische Hexenverfolgungen ebenso anschaulich schildern wie die Selbstinszenierung eines It-Girls auf Instagram. Dabei gleitet sie nie ins Polemische ab. Stattdessen arbeitet sie heraus, wie patriarchale Erzählungen sich fortschreiben, oft subtil, fast unsichtbar. Genau darin liegt die Stärke des Buches: Es enttarnt die Mechanismen, die hinter Alltagsbildern stehen, und macht sie sichtbar. Humor ist dabei keine Nebensache, sondern Teil der Strategie. So lässt sich das Unangenehme besser aushalten – und gleichzeitig schärft es die Kritik.

Wer liest, sieht mehr

Witches, Bitches, It-Girls ist keine trockene Theorie, sondern eine Einladung, die Brille der Autorin aufzusetzen. Plötzlich erscheinen bekannte Motive in neuem Licht. Die romantische Heldin, die Pop-Ikone, die „zickige“ Kollegin im Büro – sie alle stehen in einem Netz von Bedeutungen, das weit zurückreicht. Endler möchte ihre Leserinnen und Leser befähigen, diese Zusammenhänge zu sehen. Denn nur, wer die Mythen erkennt, kann sie auch überwinden. Am Ende bleibt die Pointe: Das Patriarchat lebt nicht von Mythen allein – sondern davon, dass wir sie glauben.


Kurzinfo: Witches, Bitches, It-Girls

  • Thema: Wie patriarchale Mythen über Jahrhunderte fortwirken.
  • Beispiele: Hexenbilder, Schimpfworte wie „Bitch“, Frauenrollen im Pop.
  • Analysefelder: Kanonisierung in der Kunst, Romantik, Normalität, feministische Bewegungen.
  • Aktuelle Bezüge: Märchenprinzen, Tradwives, Mommy-Blogger.
  • Ton: humorvoll, kämpferisch, ironisch.
  • Ziel: Mechanismen des Patriarchats sichtbar machen.
  • Besonderheit: anekdotische Spurensuche, die Geschichte und Gegenwart verknüpft.
  • Autorin: Rebekka Endler, Journalistin und Autorin, bekannt für feministische Sachbücher.
  • Ergebnis: ein Buch, das schärfer sehen lehrt

Rebekka Endler,
Witches, Bitches, It-Girls. Wie patriarchale Mythen uns bis heute prägen,

Rowohlt, erschienen am 13. Mai 2025, 464 Seiten, 25 Euro (D).

Über den Autor / die Autorin

Hülya Bilgisayar
Hülya Bilgisayar
Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.

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