[Buchtipp] Der trügerische Fortschritt – Markus Albers über die „Optimierungslüge“ im modernen Arbeitsalltag

[Buchtipp] Der trügerische Fortschritt – Markus Albers über die „Optimierungslüge“ im modernen Arbeitsalltag

Echte Produktivität entsteht nicht im Abhaken endloser Listen. Markus Albers erinnert uns in seinem neuen Buch daran, dass Arbeit mehr sein sollte als die bloße Verwaltung von immer noch mehr Arbeit.

(Bild: Coverdetail/Rowohlt Verlag)


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Es ist ein Szenario, das vielen vertraut vorkommen dürfte: Der Arbeitstag beginnt mit einem Videocall, gefolgt von E-Mails, Chatnachrichten und dem nächsten Online-Meeting. Zwischen Projektmanagement-Tools, To-do-Listen und Prozessdokumentationen bleibt kaum noch Platz für das eigentliche Tun. Am Ende des Tages steht dann nicht selten die Frage: Was habe ich eigentlich geschafft?

Der Journalist und Autor Markus Albers, der seit Jahren über die Zukunft der Arbeit schreibt, widmet sich diesem Phänomen in seinem Buch „Die Optimierungslüge“. Er zeigt, wie das Versprechen der New-Work-Bewegung – effizienter zu arbeiten und dadurch mehr Zeit für das Wesentliche zu gewinnen – in der Realität oft ins Gegenteil kippt.

Vom Aufbruch zur Erschöpfung

Albers ist kein Kulturpessimist, im Gegenteil. Der 1969 geborene Journalist, bekannt durch Bücher wie „Meconomy“ oder „Morgen komm ich später rein“, gilt als einer der frühen Vordenker neuer Arbeitsformen in Deutschland. Doch gerade aus dieser Position heraus diagnostiziert er nun einen gefährlichen Trend: Optimierung als Selbstzweck.

Die Werkzeuge, die eigentlich befreien sollten, haben sich in vielen Branchen verselbständigt. Aus der Verheißung von mehr Freiheit durch Homeoffice, flexible Arbeitszeiten und smarte Tools wird ein Gefühl permanenter Taktung. Calls, Dokumentationen und digitale Tasks erzeugen eine Flut an Arbeit, die keinen kreativen Raum lässt.

Ein Gesellschaftssymptom

Albers beschreibt diesen Zustand als „galoppierenden Prozessionismus“ – ein Wort, das den Zwang zum Prozesshaften treffend einfängt. Es gehe längst nicht mehr nur um Effizienz, sondern um eine Übersteigerung der Arbeitslogik, die in Wahrheit unproduktiver macht.

In diesem Sinn ist „Die Optimierungslüge“ auch mehr als eine persönliche Klage. Das Buch versteht sich als Weckruf: Die Gesellschaft müsse erkennen, dass ihre Arbeitskultur in eine Sackgasse geraten sei. Denn wer ständig auf Effizienz getrimmt wird, verliert die Fähigkeit, wirklich Wert zu schaffen.

Ansätze für ein neues Narrativ

Doch Albers bleibt nicht bei der Diagnose stehen. Sein Buch liefert konkrete Ideen, wie es anders gehen könnte. Die 4-Tage-Woche etwa, die vielerorts erprobt wird, kann Freiräume schaffen. „Workation“-Konzepte, also die Verbindung von Arbeit und Ortswechsel, eröffnen neue Möglichkeiten des Arbeitens. Und asynchrones Arbeiten, bei dem nicht alle zur gleichen Zeit verfügbar sein müssen, könnte Meetings entschlacken.

Hinzu kommt der Einsatz von Künstlicher Intelligenz für Planung und Organisation. Hier sieht Albers durchaus Chancen: Wenn Maschinen Routineprozesse übernehmen, bleibt den Menschen mehr Raum für Kreativität, Strategie und soziale Interaktion.

Debattenbeitrag zur rechten Zeit

Albers’ Buch ist kurz, pointiert und will Diskussionen auslösen. Auf 128 Seiten entwirft er ein neues Narrativ, das nicht naiv auf „mehr Technik“ setzt, sondern fragt, wie wir Technologie so einsetzen können, dass sie uns tatsächlich entlastet.

Besonders eindrücklich ist, dass „Die Optimierungslüge“ nicht von außen auf die Arbeitswelt blickt, sondern aus der Mitte heraus spricht. Albers kennt die Routinen, den Druck und die Versprechen der Optimierung aus eigener Erfahrung. Damit wird sein Text glaubwürdig – und gerade deshalb unbequem.

Ein Aufruf zum Innehalten

„Die Optimierungslüge“ ist kein Ratgeber im klassischen Sinn. Es ist vielmehr ein Impulsbuch, das die Frage stellt, ob wir uns im Streben nach Effizienz nicht selbst verloren haben. Wer sich zwischen Zoom-Calls, Miro-Boards und Task-Management gefangen fühlt, findet hier Worte für das diffuse Unbehagen – und Anregungen für neue Wege.

Am Ende bleibt die Pointe: Echte Produktivität entsteht nicht im Abhaken endloser Listen, sondern im Schaffen von Dingen, die Bestand haben. Albers erinnert uns daran, dass Arbeit mehr sein sollte als die bloße Verwaltung von immer noch mehr Arbeit.


CoverMarkus Albers,
Die Optimierungslüge. Warum wir keine Zeit mehr haben, unsere Arbeit zu machen
Rowohlt/brand eins books,
erschienen am 13. Mai 2025, 128 Seiten, 20 Euro (Deutschland)

Über den Autor / die Autorin

Hülya Bilgisayar
Hülya Bilgisayar
Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.

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