„Picknick auf der Autobahn“ ist kein Manifest gegen Autos, sondern ein Plädoyer für Wahlfreiheit ohne Zwang zur Blechkutsche. Moderne Mobilität, so die These von Katja Diehl und Mario Sixtus, bedeut nicht Verzicht, sondern Komfort, Gesundheit und Lebensqualität.
(Bild: Coverdetail/Fischer Verlag)
Brandenburg, im Jahr 2040: Eine Frau läuft über leere Asphaltstraßen in Richtung Hauptstadt. Sie fährt ganz bewusst nicht Auto, schon aus Prinzip. Außerdem kostet ja jeder fossil befeuerte Kilometer die verbliebenen „Petrolheads“ eine Menge Geld. Die staatlich vergütete Movebest-App dagegen belohnt jeden klimafreundlichen Schritt der Läuferin. Ihre Sportbrille trackt Tempo und Strecke: jeder Meter ist Training, Einkommen und Statement zugleich. Was für ein passender Auftrakt für ein Buch über Mobilität, das Lust auf morgen machen will: „Picknick auf der Autobahn“ von Katja Diehl und Mario Sixtus verbindet Verkehrs-Utopien mit Realitätschecks – und öffnet den Blick auf eine Zukunft, in der wir anders, gerechter und klimaverträglicher unterwegs sind.
Zwei Stimmen, ein Ziel
Die Rollen sind klar verteilt: Sixtus erzählt Kurzgeschichten aus einem optimistischen Übermorgen, Diehl prüft, was davon heute anschlussfähig ist. Diese Dramaturgie schafft Tempo, ohne atemlos zu werden. Wo die Fiktion kräftig koloriert, liefert die Expertin Zahlen, erläutert Instrumente und politische Hebel. So entsteht ein Dialog zwischen Imagination und Implementierung, der Leserinnen und Leser ins Tun schubst.
Movebest und die Macht der Anreize
Ein zentrales Motiv ist die Spielwiese kluger Anreizsysteme. In Sixtus’ Anfangsvision sprintet Mirja Wong für Punkte, die staatlich vergütet werden – eine Erzählung, die das Konzept Gamification auf Mobilität überträgt. Diehl kontert mit dem Realitätscheck: Von THG-Quote („Treibhausgasminderungsquote“) über Klimageld bis Tempolimit zeigt sie, wo heute schon Stellschrauben existieren und wo politische Blockaden sitzen. Der Effekt: Vision wird plausibel, weil sie mit bekannten Werkzeugen arbeitet und Verantwortlichkeiten sauber benennt.
Diehl: Praktikerin der Verkehrswende
Diehl ist keine Beobachterin am Spielfeldrand. Die Hamburger Mobilitätsexpertin, bekannt durch ihren Podcast „SheDrivesMobility“ und ihre Bestseller, bringt Branchenwissen, Aktivismus und Verwaltungserfahrung zusammen. Das spürt man in den Kapiteln, die aus dem Vollen schöpfen: Förderinstrumente, Rechtsrahmen, kommunale Praxis, europäische Beispiele, alltagstaugliche Schritte. Ihr Ton ist nüchtern, aber ermutigend – weniger der Ruf von der Barrikade, sondern eher ein Projektplan mit klaren Verantwortlichkeiten und messbaren Etappen.
Sixtus: Erzähler mit Werkzeugkasten
Mario Sixtus, erfahrener Journalist und Science-Fiction-Filmer, liefert die Funken. Seine Zukunftsbilder sind verspielt, ironiebegabt und doch geerdet: Läuferinnen, die Einkommen erlaufen; Städte, in denen der Nahverkehr attraktiver ist als das Privatauto; ein Land, das seine Straßen neu erfindet – für Menschen statt für Blech. Die Geschichten sind keine Eskapismusübungen, sondern Prototypen für Debatten, die wir führen sollten. Sie zeigen, wie Technologie, Gestaltung und Regeln zusammentreffen können, damit aus Vision Verwaltungswirklichkeit wird.
Das politische Handwerk dahinter
Erfolgreiche Verkehrswende ist kein Sprint, sondern ein Staffellauf über viele Ebenen: Planungsbeschleunigung, Raumordnung, Tarifreformen, Sicherheit im Rad- und Fußverkehr, Daten für bessere Takte. Das Buch macht klar, wie sehr konkrete Governance-Fragen über Erfolg oder Scheitern entscheiden. Wenn Kosten für fossile Mobilität sichtbar werden und klimafreundliches Verhalten belohnt wird, kippen Routinen. Dass Widerstände laut sein werden, verschweigt das Duo nicht – es zeigt aber, wie man ihnen begegnet: transparent, fair, mit Übergangsfristen, sozialer Abfederung und Mut zum Experiment.
Plädoyer für eine Denkpause
„Picknick auf der Autobahn“ ist dabei kein Manifest gegen Autos, sondern ein Plädoyer für Wahlfreiheit ohne Zwang zur Blechkutsche. Es argumentiert, dass moderne Mobilität nicht Verzicht bedeutet, sondern Komfort, Gesundheit und Lebensqualität – wenn Regeln, Preise und Infrastrukturen klug gesetzt werden. Ein Picknick steht nicht für Stillstand, sondern für eine bewusste Pause, in der die Route neu geplant wird – gemeinsam, Schritt für Schritt.
Kurzinfo: „Picknick auf der Autobahn“ – Zusammenfassung
- Duo-Ansatz: Mario Sixtus entwirft Zukunftsminiaturen, Katja Diehl liefert den Realitätscheck
- Zielbild: Wahlfreiheit ohne Autopflicht, mehr Komfort durch ÖPNV, Rad- und Fußverkehr
- Governance statt Moral: klare Zuständigkeiten, transparente Preise, soziale Abfederung
- Erzählerischer Sog trifft Praxiswissen aus Verwaltung, Aktivismus und Branche
- Für Kommunen, Politik, Unternehmen und Bürgerinnen gleichermaßen anschlussfähig
- Ton: ermutigend, lösungsorientiert, faktenbasiert statt alarmistisch
- Zukunft als gemeinsamer Werkstattprozess – Route neu planen, Schritt für Schritt
![]() | Katja Diehl & Mario Sixtus: Picknick auf der Autobahn. Wie wir in Zukunft unterwegs sein werden. ersch. 24.5.2025 S. Fischer Verlag 224 Seiten, 24 Euro |
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.
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