Je nach Bedarf mehr Fahrspuren in die am meisten befahrene Richtung freigeben – frei nach dem auf der Golden Gate Bridge praktizierten Verfahren könnte bald auch der Datenverkehr in Glasfaser-Netzwerken je nach Auslastung unterschiedlich gesteuert werden.
(Bild: Denny Muller / unsplash)
Im Inneren eines Rechenzentrums herrscht Hochbetrieb. Milliarden von Datenpaketen schwirren durch Glasfaserkabel, tauschen Informationen zwischen Prozessoren aus und treiben Anwendungen wie Chatbots, Videoplattformen oder Bildanalysen an. Doch während die Nachfrage nach Künstlicher Intelligenz wächst, stoßen die starren Netzwerkstrukturen vieler Serverfarmen an ihre Grenzen.
Ein Forschungsteam der Technischen Universität Berlin unter Leitung von Prof. Dr. Stefan Schmid arbeitet deshalb an einer Lösung, die so beweglich ist wie der Verkehr auf der Golden Gate Bridge – dort, wo ein „Zipper“ täglich die Mittelplanke der Fahrbahn verschiebt, um Engpässe aufzulösen.
Netzwerke, die sich selbst justieren
In herkömmlichen Rechenzentren sind die Verbindungen zwischen den Server-Racks fix – unabhängig davon, wie viel oder wie wenig gerade kommuniziert wird. Das bedeutet: Auch wenig ausgelastete Routen bleiben bestehen, während stark genutzte Pfade überlastet sind. Schmid und sein Team verfolgen dagegen einen adaptiven Ansatz.
Mit sogenannten self-adjusting networks passen sich die Verbindungen dynamisch an die tatsächlichen Datenströme an. Möglich machen das optische Switches, die innerhalb von Millionstelsekunden neue Datenpfade öffnen – ganz ohne Umweg über elektrische Signale.
„Dadurch wird weniger Bandbreite verschwendet, mehr Daten können übertragen werden und die Gesamtleistung der Rechenzentren-Netzwerke steigt“, erklärt Stefan Schmid. Das System erkennt, wo starker Austausch stattfindet, und schaltet genau dort direkte Verbindungen – wie eine Schnellstraße zwischen zwei Metropolen.
Licht statt Strom: Die Technologie dahinter
Was technisch komplex klingt, beruht auf einem eleganten physikalischen Prinzip: Licht statt Elektrizität. Die optischen Switches, die im Projekt zum Einsatz kommen, funktionieren mit unterschiedlichen Wellenlängen oder mit programmierbaren Spiegeln, die Licht gezielt umleiten.
„Die Steuerung geschieht zum Beispiel über unterschiedliche Lichtfarben oder programmierbare digitale Spiegel, die die Signale gezielt im Netzwerk weiterleiten“, sagt Schmid.
Das hat zwei Vorteile: Zum einen ist die Reaktionszeit extrem gering – Datenpakete finden auf Anhieb den kürzesten Weg. Zum anderen wird Energie gespart, weil keine Umwandlung von Licht in Strom nötig ist. Gerade angesichts des wachsenden Energiebedarfs von Rechenzentren ist das ein zentraler Punkt.
Kommunikationsmuster erkennen
Die Grundlagenforschung zu den dynamischen Netzwerken begann vor mehreren Jahren. Seitdem haben Schmid und sein Kollege Chen Avin von der Ben-Gurion-Universität in Israel mathematische Modelle entwickelt, mit denen sich Kommunikationsmuster identifizieren und optimieren lassen.
Das Prinzip erinnert an Sprachstatistik: Manche Buchstaben, wie das „E“, kommen häufiger vor als andere. Genauso treten im Datenverkehr bestimmte Verbindungen besonders oft auf. Diese Regelmäßigkeiten macht sich das System zunutze.
„Unsere Forschung zeigt, welche Architekturen und Kontrollmechanismen nötig sind, um die Rechenzentren der nächsten Generation von Google und Co. optimal auf den Datenverkehrsfluss anzupassen“, so Schmid.
KI als Katalysator
Besonders spannend wird das Konzept angesichts aktueller Entwicklungen in der Künstlichen Intelligenz. Ob große Sprachmodelle oder neuronale Bildgeneratoren – moderne KI-Anwendungen erzeugen riesige Datenmengen innerhalb von Serverclustern. Diese Datenflüsse folgen oft vorhersehbaren Mustern – zum Beispiel in Trainingsprozessen mit vielen Wiederholungen.
Gerade hier spielen die selbstjustierenden Netzwerke ihre Stärke aus: Sie können nicht nur auf spontane Veränderungen reagieren, sondern sich auch auf erwartbare Belastungen vorbereiten. Das Ergebnis: weniger Verzögerungen, mehr Effizienz – und ein System, das mit dem wachsenden Bedarf Schritt hält.
Ein Blick in die Zukunft
Mit der aktuellen Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Communications of the ACM legt das Forschungsteam nicht nur die theoretischen Grundlagen, sondern auch konkrete Ansätze zur Umsetzung vor. Noch sind viele Details offen – etwa zur Skalierbarkeit der Technik in sehr großen Rechenzentren. Doch die Richtung ist klar: Dynamik statt Starrheit, Anpassung statt Überlastung.
Wenn der Datenverkehr weiter wächst wie bisher, werden flexible Strukturen unerlässlich. Und wer weiß – vielleicht wird der Golden Gate Zipper bald auch in den Datenautobahnen der Zukunft zum Vorbild.
Kurinfo: Dynamische Netzwerke für Rechenzentren
- Projekt: Self-Adjusting Networks, TU Berlin, gefördert durch den Europäischen Forschungsrat (ERC)
- Technologie: Optische Switches, Lichtsteuerung per Wellenlänge oder programmierbaren Spiegeln
- Ziel: Flexible Verbindungsstrukturen innerhalb von Rechenzentren, angepasst an den aktuellen Datenverkehr
- Vorteile: Höhere Effizienz, geringerer Energieverbrauch, bessere Ausnutzung der Bandbreite
- Anwendungsfeld: Besonders relevant für KI-Modelle und datenintensive Cloud-Dienste
- Perspektive: Rechenzentren der Zukunft werden nicht nur leistungsfähiger, sondern auch intelligenter – weil sie sich selbst organisieren können.
Originalpublikation:
Chen Avin & Stefan Schmid,
„Revolutionizing Datacenter Networks via Reconfigurable Topologies“,
in: Communications of the ACM (CACM), Vol. 68 No. 6, Pages 44-53 (May 13, 2025)
DOI: 10.1145/3708980
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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