Flach, flott, folgenreich

Flach, flott, folgenreich

Smartphones im Unterricht sind umstritten – wenn es um das Schauen von Lernvideos geht, offenbar aus guten Gründen.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


Sie sind schnell, bunt und allgegenwärtig: TikToks, Reels und Shorts laufen in Endlosschleife über unsere Bildschirme – immer nur ein paar Sekunden lang, aber dafür mit Sogwirkung. Was harmlos wirkt, hat Folgen: Der ständige Konsum von Kurzvideos kann unsere Denkweise verändern. Forschende der TU Braunschweig zeigen in zwei aktuellen Studien, wie diese Formate unsere Lernprozesse beeinflussen – und warum sie das rationale Denken beeinträchtigen könnten.

Flacher Konsum, flacher Lerneffekt

In der ersten Studie befragte Thorsten Otto vom Institut für Pädagogische Psychologie rund 170 Erwachsene zu ihrem Kurzvideokonsum – und setzte ihre Antworten in Beziehung zu Testergebnissen für rationales Denken. Das Ergebnis war eindeutig: Wer viele Kurzvideos konsumierte, schnitt im kognitiven Test deutlich schlechter ab. Otto erklärt:
Um rationales Denken zu fördern, brauchen Kinder und junge Erwachsene Lernumgebungen, die ihnen vermitteln, wie statt was sie denken sollen“.

Die Schnelligkeit, mit der Inhalte in Kurzvideos vermittelt werden, fördert laut den Forschenden eine oberflächliche Herangehensweise an Wissen. Es gehe weniger um Verstehen, mehr um Merken – und möglichst mit geringem Aufwand. Kein Zufall also, dass Vielkonsumenten häufiger zu einem auswendig lernenden, wenig tiefgehenden Lernstil tendierten.

Drei Minuten TikTok – und schon ändert sich das Lernverhalten

In einer zweiten Studie ließ Otto über 120 junge Erwachsene je nach Gruppe unterhaltsame Kurzvideos ansehen oder nicht – und konfrontierte sie danach mit Lernstoff, der entweder ebenfalls per Video oder klassisch als Text vermittelt wurde. Danach mussten sie ein Quiz und einen Test zum rationalen Denken absolvieren. Auch hier: Die Video-Gruppen schnitten durchweg schlechter ab.

Es bedarf zwar noch weiterer Forschung, aber die Studien enthalten Hinweise darauf, dass Kurzvideos zum Lernen und Lehren niedrigkomplexer Inhalte gegenüber Texten im Nachteil sind“, fasst Otto zusammen. Das große Problem: Bereits drei Minuten Konsum genügten, um das Lernverhalten in Richtung Oberflächlichkeit zu verschieben.

Zwischen Bildflut und Denkblockade

Kurzvideos bieten – neben all der Unterhaltung – eine Reizüberflutung, die das Lernen erschwert. Rasante Schnitte, Text-Overlays, Musik, Untertitel – all das überfordert unser Arbeitsgedächtnis. Die sogenannte „Cognitive Theory of Multimedia Learning“ beschreibt genau diesen Effekt: Nur wenn visuelle und auditive Reize ausgewogen sind, gelingt effektives Lernen.
Diese besagt, dass Lernen am effektivsten gelingt, wenn Informationen in einem ausgewogenen Verhältnis über unterschiedliche Kanäle – visuell und auditiv – präsentiert werden, ohne die begrenzten kognitiven Ressourcen zu überlasten.

Der Unterricht müsse, so Otto, stärker für diese Effekte sensibilisieren. Lehrkräfte sollten beim Einsatz von Videos auf überflüssige Reize verzichten – etwa auf Untertitel oder übermäßige Schnelligkeit. Entscheidend sei es, nicht die Illusion von Lernen zu erzeugen, sondern echten Wissensgewinn zu ermöglichen.

Soziale Medien als Türöffner – aber mit Maß

Gleichzeitig sehen die Forschenden auch Potenzial – wenn die Formate bewusst eingesetzt werden. Otto betont:
Kurzvideos im Unterricht sind nicht per se problematisch – aber sie stellen keinen Ersatz für tiefgehende Lernprozesse dar“.
Richtig eingesetzt, könnten sie Interesse wecken, Inhalte anteasern oder Zusammenfassungen bieten. Doch sie müssten kritisch eingebettet werden – und nicht als Selbstzweck dienen.

Wenn es gelingt, ihre Stärken im Bereich der Aufmerksamkeitsbindung gezielt zu nutzen und zugleich ihre Grenzen zu reflektieren, könnten sie durchaus gewinnbringend in der Bildung eingesetzt werden“, so Otto weiter.

Push aus, Kopf an

Was also tun? Otto hat auch ganz praktische Tipps parat: „Um das zwanghafte Konsumieren von Kurzvideos zu reduzieren, kann es helfen, Push-Nachrichten auszuschalten oder den Schwarz-Weiß-Modus einzustellen, damit die Videos ihren Reiz verlieren.“.
Ob in der Schule, im Studium oder in der Freizeit: Ein bewusster Umgang mit Social-Media-Inhalten schützt nicht nur die Konzentration – sondern bewahrt auch unsere Fähigkeit, wirklich zu denken.


Kurzinfo: Videoclips zum Lernen

  • Formate: TikTok, Reels, Shorts (Dauer meist 10–60 Sekunden)
  • Studienbasis: Zwei Studien der TU Braunschweig mit 170 bzw. 120 Teilnehmenden
  • Hauptergebnis: Kurzvideos fördern oberflächliches Lernen und schwächen rationales Denken
  • Wissenschaftliche Erklärung: Kognitive Überlastung durch schnelle Bildfolgen, Multimodalität und Reizüberflutung
  • Empfehlungen:
    • Kurzvideos nur gezielt im Unterricht einsetzen
    • Reizarme Gestaltung bevorzugen (weniger Untertitel, weniger Tempo)
    • Vor dem Lernen keine unterhaltenden Videos konsumieren
  • Praktischer Tipp: Schwarz-Weiß-Modus aktivieren, Push-Nachrichten ausschalten
  • Forschungsbedarf: Weitere Studien nötig, um nachhaltige Effekte zu belegen

Originalpublikation:
Thorsten Otto,

„Should educators be concerned? The impact of short videos on rational thinking and learning: A comparative analysis“,
in: Computers & Education, Volume 234, September 2025.

DOI: 10.1016/j.compedu.2025.105330

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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