Fünf Regeln für die Ordnung im Körper

Fünf Regeln für die Ordnung im Körper

Die fünf Regeln für das Zellverhalten, die ein Forschungsteam der Universität Delaware Team identifiziert hat, sind einfach, aber wirkungsvoll: Zusammengenommen ergeben sie ein System, das wie eine gut choreografierte Tanzaufführung funktioniert.

(Bild: ChristianaCare)


Im menschlichen Verdauungssystem herrscht erstaunliche Ordnung. Trotz ständiger Zellteilung, Absterben und Erneuerung bleibt das kollektive Bauwerk namens Darm stabil. Ein Forschungsteam vom ChristianaCare’s Helen F. Graham Cancer Center und der University of Delaware glaubt nun, das Geheimnis dieser Selbstorganisation gelüftet zu haben. Nicht Tausende, sondern nur fünf einfache Regeln genügen demnach, um die Architektur eines Gewebes aufrechtzuerhalten.

Ein Bauplan für lebendige Systeme

Über 15 Jahre haben Mathematiker und Biologen gemeinsam an dieser Frage gearbeitet. Das Ergebnis ist mehr als eine Hypothese – es ist ein mathematisches Modell, das anhand von Zellverhalten im Dickdarm getestet wurde. Gerade hier erneuert sich das Gewebe besonders schnell, doch seine Struktur bleibt bemerkenswert konstant.

Das könnte die biologische Version eines Bauplans sein“, sagt Bruce Boman, Leitautor der Studie und Krebsforscher an der University of Delaware. „So wie wir einen genetischen Code haben, der erklärt, wie unsere Gene funktionieren, könnten wir auch einen ‚Gewebe-Code‘ haben, der erklärt, wie unser Körper über lange Zeit hinweg so präzise organisiert bleibt.

Die fünf Regeln, die das Team identifiziert hat, sind einfach, aber wirkungsvoll: Wann sich eine Zelle teilt, in welcher Reihenfolge das geschieht, in welche Richtung sie sich bewegt, wie oft sie sich teilen darf und wie lange sie lebt. Zusammengenommen ergeben sie ein System, das wie eine gut choreografierte Tanzaufführung funktioniert.

Tanz der Zellen: Ordnung durch Bewegung

Diese Regeln funktionieren tatsächlich wie eine Choreografie“, erklärt Gilberto Schleiniger, Mathematiker an der University of Delaware. „Sie bestimmen, wohin sich Zellen bewegen, wann sie sich teilen und wie lange sie bleiben – und genau das sorgt dafür, dass Gewebe so aussieht und funktioniert, wie es soll.

Die Regeln sind nicht starr, sondern dynamisch. Sie reagieren auf Verletzungen, regulieren Regeneration, sorgen für Symmetrie und Funktion. Ohne zentrale Steuerung entsteht aus Millionen Einzelbewegungen ein stabiles Ganzes.

Das Modell wurde am Darmgewebe getestet, könnte aber, so vermuten die Forschenden, auch auf andere Organe übertragbar sein – von der Haut bis zum Gehirn. Die Hoffnung: Mit diesem Wissen könnten Wissenschaftler künftig besser verstehen, wie Wunden heilen, wie Fehlbildungen entstehen oder wie Krebs sich entwickelt, wenn das Regelwerk aus dem Takt gerät.

Ein Code für das Leben – und die Krankheit

Unsere Gewebe wachsen und schrumpfen nicht einfach zufällig“, so Boman. „Sie wissen, wie sie aussehen sollen – und wie sie dorthin zurückkehren, selbst nach einer Verletzung. Diese Präzision braucht eine Art Anleitung. Und was wir gefunden haben, ist ein starker Kandidat für genau diese Anleitung.

Die Entdeckung könnte auch das ambitionierte Human Cell Atlas-Projekt ergänzen, das derzeit jeden Zelltyp im menschlichen Körper kartiert. Während der Atlas ein statisches Bild liefert, könnte der „Gewebe-Code“ die Dynamik erklären – wie Zellen nicht nur existieren, sondern agieren.

Besonders spannend: Das Modell basiert auf Computersimulationen. Denn die Bewegungen aller Zellen in Echtzeit zu beobachten, ist mit heutigen Methoden kaum möglich. Die Mathematik hilft hier, unsichtbare Muster sichtbar zu machen – ein Trend, der in der modernen Biomedizin zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Neues Denken durch einfache Regeln

Die Forschung folgt dabei einem klaren Leitbild: Das Leben folgt Prinzipien, die entschlüsselt werden können. Die US-amerikanische Wissenschaftsstiftung NSF fördert solche Ansätze unter dem Titel „Rules of Life“. Die nächsten Schritte sind experimentelle Tests, die weitere Verfeinerung des Modells und die Anwendung auf Tumorerkrankungen. Denn wenn man weiß, wie gesunde Ordnung entsteht, kann man besser verstehen, wann und wie sie aus dem Ruder läuft.

Das ist erst der Anfang“, sagt Schleiniger. „Sobald man die Regeln kennt, kann man ganz neue Fragen stellen – und vielleicht sogar lernen, wie man etwas repariert, das aus dem Gleichgewicht geraten ist.


Kurzinfo: Fünf Regeln für Gewebeordnung

  • Modell basiert auf Darmepithel, übertragbar auf andere Organe.
  • Fünf Regeln: Zellteilungstiming, Teilungsreihenfolge, Bewegungsrichtung, Teilungsanzahl, Lebensdauer.
  • Methode: Mathematische Modellierung statt Zellbeobachtung in Echtzeit.
  • Bedeutung: Neue Erklärungen für Wundheilung, Fehlbildungen, Krebs.
  • Ergänzt das Human Cell Atlas-Projekt durch dynamische Perspektive.
  • Nächste Schritte: Experimentelle Validierung, Anwendung auf Tumorbiologie.

Originalpublikation:
Bruce M. Boman et al.,
„Dynamic Organization of Cells in Colonic Epithelium is Encoded by Five Biological Rules“,
in: Biology of the Cell ? (15-Jul-2025)
DOI: 10.1111/boc.70017

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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