In der Landwirtschaft beliebt, bei Gesundheitsexperten gefürchtet: Fungizide der Wirkstoffgruppe Strobilurine werden nur langsam abgebaut und reichern sich in der Umwelt an – bis hin zum Menschen.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
Die glänzende Apfelschale im Supermarkt, das goldene Weizenfeld im Sommer – vieles von dem, was gesund und natürlich wirkt, trägt eine unsichtbare Last. Rückstände von Fungiziden, die eigentlich Pflanzen schützen sollen, finden sich immer häufiger in unserem Alltag. Eine neue wissenschaftliche Übersichtsarbeit warnt nun vor den Folgen: Die chemische Wirkstoffgruppe der Strobilurine, einst gefeiert als Durchbruch für die Landwirtschaft, taucht heute in Lebensmitteln, im Wasser – und sogar im menschlichen Körper auf.
Vom Wundermittel zum Risiko
Seit den 1990er-Jahren galten Strobilurin-Fungizide als Hoffnungsträger. Sie machten Getreide, Reis und Obst widerstandsfähiger gegen Pilzkrankheiten und ließen Ernten stabiler ausfallen. Inzwischen machen sie ein Fünftel aller weltweit verkauften Fungizide aus. Doch die Kehrseite: Ihre hohe Stabilität sorgt dafür, dass sie nicht nur auf dem Acker bleiben. Rückstände wurden in Grundnahrungsmitteln, in Flüssen und Seen und in der Raumluft von Wohnungen nachgewiesen. Besonders alarmierend: Studien belegen ihre Präsenz im Urin und Blut schwangerer Frauen. Bei einem der gängigen Wirkstoffe, Azoxystrobin, fand man Abbauprodukte in allen untersuchten Proben.
Schädigung auf Zellebene
Die Gefahren beginnen auf mikroskopischer Ebene. Die Chemikalien greifen in die „Kraftwerke“ der Zellen ein – die Mitochondrien. Experimente mit Fischlarven zeigen, dass die Energieproduktion dort um bis zu 98 Prozent sinken kann. Langfristig bedeutet das: gestörte Entwicklung, hormonelle Veränderungen, Schäden an Organen und möglicherweise auch am Nervensystem. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Guangdong und ihren internationalen Partnerinstituten sehen deshalb dringenden Handlungsbedarf.
„Diese Fungizide revolutionierten die Landwirtschaft, doch ihre verborgenen Kosten werden immer deutlicher“, sagt Studienleiter Dr. Jingchuan Xue. „Die Menschen sind über Nahrung, Wasser und Umwelt ausgesetzt, und wir brauchen dringend bessere Kontrollen und Gesundheitsstudien.“
Belastung für Mensch und Natur
Die Rückstände betreffen längst nicht nur Konsumentinnen und Konsumenten. Auch die Umwelt trägt Last: In Flüssen reichern sich die Stoffe an, Wasserorganismen zeigen Entwicklungsstörungen. Hormonelle Effekte wurden bei Amphibien und Fischen nachgewiesen. Besonders kritisch ist, dass viele Chemikalien nicht einzeln, sondern in Kombination wirken – und die Forschung bisher kaum weiß, welche Langzeitfolgen daraus entstehen.
Zudem kommen die Fungizide über verschiedene Wege in die Umwelt. Sie gelangen über Sprühnebel in die Luft, werden vom Regen in Böden und Gewässer gespült oder binden sich an Staub, der in Wohnräume getragen wird. Gerade bei Kindern und Schwangeren sehen Expertinnen und Experten deshalb erhöhte Risiken.
Hoffnung durch Bodenbakterien
Ganz ohne Lichtblicke bleibt das Bild jedoch nicht. Bestimmte Bodenmikroben sind in der Lage, Strobilurine zu zersetzen. Das eröffnet Chancen für natürliche Abbauprozesse, die jedoch noch genauer erforscht werden müssen. Klar ist für die Autorinnen und Autoren: Nötig sind systematische internationale Messprogramme, die Rückstände überwachen, und strengere Grenzwertprüfungen für Lebensmittel. Zudem sollte die Wissenschaft verstärkt neue Analysemethoden nutzen, um die Wirkmechanismen besser zu verstehen.
„Die Kombination aus globaler Verbreitung, biologischer Stabilität und potenzieller Giftigkeit ist eine Herausforderung, die wir nur gemeinsam lösen können“, erklärt Xue. „Es braucht internationale Zusammenarbeit, um Risiken für Gesundheit und Umwelt zu minimieren.“
Kurzinfo: Fungizide im Alltag
- Strobilurine seit den 1990ern als erfolgreiche Pflanzenschutzmittel eingesetzt
- Heute etwa 20 Prozent des globalen Fungizid-Marktes
- Rückstände in Lebensmitteln, Wasser, Hausstaub und menschlichen Körpern nachweisbar
- Belastung besonders bei Schwangeren dokumentiert
- Schädigung der Zellkraftwerke nachgewiesen, bis zu 98 Prozent weniger Energieproduktion
- Risiken für Hormonhaushalt, Entwicklung und Nervensystem möglich
- Abbau durch bestimmte Bodenmikroben eröffnet Perspektiven
- Kombinationseffekte mehrerer Chemikalien noch kaum erforscht
- Forderung: internationale Überwachung und strengere Lebensmittelkontrollen
Originalpublikation:
Liu Z et al.,
A brief review of strobilurin fungicides: environmental exposure, transformation, and toxicity. New Contaminants 1: e004.
DOI: 10.48130/newcontam-0025-0002//
Über den Autor / die Autorin

- Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.
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