Es muss nicht immer Kobalt oder Lithium sein: KI hilft jetzt dabei, passende Ersatzmaterialien auszuwählen – Grundlage ist eine automatische Recherche in Datenbanken.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
In einem Labor des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart tippt eine Forscherin spezifische Angaben in eine Eingabemaske. Kein Rezept, keine Formel – sondern der Versuch, ein industrielles Problem zu lösen: Kobalt soll ersetzt werden. Was sich kompliziert anhört, wird von einer künstlichen Intelligenz begleitet, die nicht nach Bauchgefühl, sondern nach Milliarden Datenpunkten entscheidet. Willkommen in der neuen Ära der Materialsubstitution.
Warum Kobalt ersetzt werden muss
Kobalt ist eines jener Metalle, die unsere Gegenwart elektrifizieren – und unsere Zukunft belasten. Es steckt in Lithium-Ionen-Batterien von E-Autos, ist technisch wertvoll, aber ökologisch, sozial und geopolitisch problematisch. Über die Hälfte der bekannten Vorkommen lagern im Kongo, unter teils prekären Bedingungen gefördert. In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit zur unternehmerischen Pflicht geworden ist, sind solche Rohstoffe kaum noch zu rechtfertigen.
Doch wie findet man ein Ersatzmaterial, das technisch mithalten kann – und zugleich rechtlich, ökologisch und ethisch vertretbar ist? Die Antwort des Fraunhofer IPA: mit künstlicher Intelligenz.
Ein neues Rechercheverständnis
Charlotte Schmidt, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer IPA, kennt die Herausforderungen der klassischen Materialsuche. „Es gibt zwar Datenbanken, die Produktentwickler für die Recherche heranziehen können. Doch die liefern oft keine brauchbaren Ergebnisse, weil sie den genauen Anwendungsfall im Unternehmen nicht berücksichtigen“, erklärt sie. Genau hier setzt das neue Tool an.
Anstatt nur Tabellen zu wälzen, analysiert die KI aus dem Projekt „Ultraeffizienzfabrik – Deep Dive“ die wissenschaftliche Literaturplattform „Semantic Scholar“. Der Nutzer gibt ein, was ersetzt werden soll – samt Einsatzkontext und Materialanforderungen – und die KI gleicht dies mit dem Weltwissen aus Forschungsartikeln ab. Ein datengetriebener Vorschlagsalgorithmus statt reiner Erfahrung.
Von der Idee zur Entscheidungsvorlage
Die eigentliche Innovation liegt in der Kombination: Die KI liefert Vorschläge, doch die finale Bewertung übernehmen Menschen. Die Wissenschaftlerinnen prüfen die Vorschläge auf rechtliche, ökologische und soziale Aspekte, bewerten die Versorgungslage und vergleichen schließlich die Ausgangsstoffe mit den Substituten. Am Ende steht ein fundierter Bericht – ein Spickzettel für strategische Materialentscheidungen im Unternehmen.
Zu den bisherigen Ergebnissen gehört auch ein altbekanntes Material: Eisen. »Es ist zwar keine neue Erkenntnis, dass anstelle von Lithium-Nickel-Mangan-Kobalt-Oxid auch Lithium-Eisenphosphat für die Kathoden von Batterien verwendet werden kann«, sagt Schmidt. »Aber dieses und weitere Ergebnisse haben uns gezeigt, dass die KI-Anbindung bei der Suche nach alternativen Materialien vielversprechend ist.«
Ein Werkzeug für die Zukunft
Die Software ist kein Selbstläufer, aber ein Werkzeug, das sich anpassen lässt. Jedes Unternehmen, jeder Anwendungsfall ist anders. Die KI funktioniert wie ein Kompass – sie zeigt die Richtung, nicht den Weg. Die beteiligten Forscherinnen bleiben im engen Austausch mit Firmen und passen die Analyse individuell an. Die Materialsubstitution wird so zum iterativen Prozess – statt zur Sackgasse im Projektplan.
Gefördert wird das Projekt vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg mit 1,4 Millionen Euro. Mit an Bord: Unternehmen aus der Region. Dass hier Wissenschaft und Wirtschaft Hand in Hand arbeiten, ist kein Zufall. Denn letztlich geht es nicht nur um Ersatzstoffe – sondern um wirtschaftliche Resilienz und ökologische Verantwortung.
Kurzinfo: Materialsubstitution mit KI
- Herausforderung: Knappe, teure oder problematische Rohstoffe wie Kobalt sollen ersetzt werden
- Lösung: KI-gestütztes Tool vom Fraunhofer IPA analysiert Literaturdatenbank „Semantic Scholar“
- Vorgehen: Nutzende geben Anwendungsfall ein → KI liefert Vorschläge → menschliche Bewertung folgt
- Vorteile: Berücksichtigung technischer, rechtlicher, ökologischer und sozialer Kriterien
- Einsatzgebiet: Besonders relevant für Batterietechnologien, Chemie und produzierende Industrie
- Projektlaufzeit: April 2024 bis August 2025
- Förderung: 1,4 Millionen Euro durch Umweltministerium Baden-Württemberg
- Projektpartner: u. a. Fraunhofer IAO, Alpirsbacher Klosterbräu, Ansmann AG
- Langfristiges Ziel: Mehr Resilienz, Nachhaltigkeit und Innovationsfähigkeit für Unternehmen
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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