Kampf um Aufmerksamkeit

Kampf um Aufmerksamkeit

Die marktschreierische Schlagzeilen-Kultur durchsetzt inzwischen Boulevardmedien wie auch seriöse Portale – und droht die Glaubwürdigkeit von Journalismus zu untergraben.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


Ein neuer Forschungsbericht des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung bringt es auf den Punkt: Online-Schlagzeilen sind nicht nur länger geworden, sondern auch emotionaler und negativer. Ein Trend, der nicht nur die Klickzahlen steigert, sondern auch grundlegende Fragen zur Glaubwürdigkeit des Journalismus aufwirft. Dabei zeigt sich deutlich: Was einst als Informationshappen begann, ist heute häufig ein bewusst platzierter Köder, um möglichst viele Klicks zu generieren.

Vom Informationshappen zur Clickbait-Schlagzeile

Die Studie untersuchte 40 Millionen Schlagzeilen, die in den letzten 20 Jahren auf Nachrichtenseiten erschienen sind. Auffällig ist der zunehmende Einsatz von Fragewörtern und Pronomen wie „Was“, „Warum“ oder „Du“. „Unsere Analyse zeigt, dass sich die Sprache von Online-Schlagzeilen über die Jahre hinweg systematisch verändert hat“, erklärt Pietro Nickl, Doktorand am Max-Planck-Institut. „Viele dieser Veränderungen deuten auf eine Anpassung an die Anforderungen und Möglichkeiten des digitalen Umfelds hin.“ Tatsächlich sind es vor allem Boulevardmedien, die diesen Trend vorantreiben, doch auch Qualitätsmedien setzen vermehrt auf emotionale Schlagzeilen, um sich Gehör zu verschaffen.

Emotionalisierung als Erfolgsrezept?

Neben der zunehmenden Länge ist auch die Tonalität der Schlagzeilen markant: Im Durchschnitt sind Online-Überschriften heute negativer als noch vor zehn Jahren. Das betrifft nicht nur Boulevardmedien, sondern auch etablierte Nachrichtenhäuser. „Wenn sich der Stil etablierter Medien denen von problematischen Quellen immer stärker annähert, verschwimmen die Grenzen“, warnt Philipp Lorenz-Spreen, Co-Autor der Studie. Das Risiko: Die Grenze zwischen journalistischem Inhalt und manipulativen Inhalten wird zunehmend unscharf. Besonders auffällig sei die Emotionalisierung in Krisenzeiten: Negative Schlagzeilen, die Angst oder Empörung schüren, erzielen nachweislich mehr Klicks – ein Effekt, der durch Algorithmen noch verstärkt wird.

Klicks statt Inhalte: Die Rolle der Algorithmen

Der Grund für die Entwicklung liegt laut den Forschenden vor allem im Kampf um Aufmerksamkeit. Plattformen wie Facebook, Twitter oder TikTok setzen auf Algorithmen, die emotional aufgeladene Inhalte bevorzugen – und diese Inhalte sind oft negativ konnotiert. „Die Veränderungen sind nicht das Ergebnis einzelner redaktioneller Entscheidungen, sondern Ausdruck eines kulturellen Selektionsprozesses“, sagt Nickl. Es sei ein Wettlauf um die Aufmerksamkeit der Leserschaft. Verstärkt wird dies durch Ranking-Systeme, die nicht unbedingt auf Qualität setzen, sondern auf Interaktionen. Je mehr Menschen auf eine Schlagzeile klicken, desto höher wird sie im Algorithmus gewichtet – ein Mechanismus, der emotionale Inhalte bevorzugt.

Vertrauen in den Journalismus auf dem Prüfstand

Die Studie zeigt, dass Clickbait-Elemente auch in den Schlagzeilen etablierter Medienhäuser Einzug gehalten haben. Gerade bei negativ konnotierten Themen scheint der Effekt besonders ausgeprägt. „Das kann langfristig das Vertrauen in den Journalismus untergraben“, so Lorenz-Spreen. Eine mögliche Gegenstrategie: Plattformen könnten neue Erfolgskennzahlen einführen, die nicht nur Klicks, sondern auch die Verweildauer oder das Leseverhalten erfassen. Gleichzeitig könnten Redaktionen verstärkt auf Transparenz setzen – etwa durch klare Kennzeichnung von Kommentar- und Meinungsbeiträgen.


Kurzinfo: Studie zu Online-Schlagzeilen

  • 40 Millionen Schlagzeilen aus 20 Jahren analysiert
  • Durchschnittliche Länge der Überschriften hat zugenommen
  • Vermehrter Einsatz von Fragewörtern und Pronomen
  • Negativ konnotierte Schlagzeilen häufen sich
  • Boulevard- und Qualitätsjournalismus nähern sich stilistisch an
  • Algorithmen verstärken den Trend zu emotionalisierenden Inhalten

Originalpublikation:

Nickl, P., Moussaïd, M., & Lorenz-Spreen, P. (2025). The evolution of online news headlines. Humanities and Social Sciences Communications, 12, Article 364.

https://doi.org/10.1057/s41599-025-04514-7

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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