Reißfeste künstliche Muskeln: So bekommen softe Robots Superkräfte

Reißfeste künstliche Muskeln:  So bekommen softe Robots Superkräfte

Das leistungsfähige Muskelmaterial könnte Soft Robotics aus der Laborphase in den Alltag katapultieren – in die Hände von Chirurginnen, Pflegern oder sogar in Haushaltsgeräte der Zukunft.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


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Kurzinfo: Künstliche Muskeln mit Flüssigkristallen

  • Forschungsteam der University of Waterloo entwickelt neue „weiche“ Aktuatoren
  • Kombination aus Flüssigkristallen (LC) und elastischen Polymeren (LCE)
  • Bis zu neunmal höhere Festigkeit als bisherige Materialien
  • Belastbar bis zum 2.000-Fachen des Eigengewichts
  • Leistungsdichte: 24 Joule pro Kilogramm
  • Anwendungen in Medizin, Mikro-Robotik und Fertigung
  • Kooperation mit University of Cambridge und Kent State University


Roboter, die nicht aus Metall bestehen, sondern sich biegen, dehnen und greifen können wie Lebewesen – das war lange eine Vision. Doch weiche Maschinen, sogenannte Soft Robots, scheiterten bisher an ihrer eigenen Schwäche: Die elastischen Materialien, die sie antreiben sollten, waren zu kraftlos. Nun hat ein Team um Forschende der University of Waterloo eine Lösung gefunden – und ihr Geheimnis liegt in einer Zutat, die man sonst aus Bildschirmen kennt: Flüssigkristalle.

Weiche Maschinen mit innerer Stärke

Was wir künstliche Muskeln nennen, ist entscheidend, um das wahre Potenzial weicher Roboter zu erschließen“, erklärt Hamed Shahsavan, Professor für Chemieingenieurwesen und Leiter des SMART-Lab an der University of Waterloo. Solche Materialien könnten harte Motoren und Pumpen ersetzen, die in klassischen Robotern für Bewegung sorgen. Das Ziel: Maschinen, die sich sicher und natürlich bewegen – und so auch in der Medizin oder Pflege eingesetzt werden können.

Flüssigkristalle als Kraftverstärker

Das Team mischte Flüssigkristalle – bekannt aus Displays und Sensoren – in sogenannte Liquid-Crystal-Elastomere (LCEs). Diese Gummis verändern bei Erwärmung ihre Form und kehren danach in den Ausgangszustand zurück. Durch den Zusatz von Flüssigkristallen wurden sie bis zu neunmal stärker. „Fasern aus den neuen LCEs können beim Erhitzen das bis zu 2.000-Fache ihres Eigengewichts heben“, sagt Shahsavan. Ihre Leistungsdichte liegt bei 24 Joule pro Kilogramm – etwa dreimal so viel wie bei menschlichen Muskeln.

Ein Material wie Keksteig mit Schokoladenstückchen

Mithilfe von Röntgenanalysen fanden die Forschenden heraus, dass die Flüssigkristalle im Material winzige Taschen bilden – ähnlich wie Schokostückchen in einem Keksteig. Diese Taschen verhalten sich trotz ihres flüssigen Ursprungs wie Festkörper und stabilisieren das Material, ohne dessen Elastizität zu zerstören. Der Effekt: Das Material wird zäher, reißfester und zugleich programmierbar – ein idealer Kandidat für künstliche Muskeln.

Von der Chirurgie bis zur Industrie

Die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, reichen weit: vom mikrochirurgischen Roboter, der Medikamente präzise an eine Zielzelle bringt, bis zu kollaborativen Maschinen, die in Werkhallen gefahrlos neben Menschen arbeiten. „Solche Materialien sind in der Robotik heiß begehrt, weil sie alte, schwere Antriebe ersetzen können – ohne an Leistung einzubüßen“, sagt Shahsavan.

Druckfähig und zukunftsweisend

Das Team arbeitet nun daran, die neuen LCEs als 3D-Druck-Material nutzbar zu machen. So könnten maßgeschneiderte künstliche Muskeln Schicht für Schicht entstehen – anpassbar an Form und Funktion jedes Roboters. Neben Waterloo beteiligten sich Forschende der University of Cambridge und der Kent State University. Der Durchbruch könnte Soft Robotics aus der Laborphase in den Alltag katapultieren – in die Hände von Chirurginnen, Pflegern oder sogar in Haushaltsgeräte der Zukunft.


Originalpublikation:

Sahad Vasanji et al.,

Stiffening Liquid Crystal Elastomers with Liquid Crystal Inclusions in: Advanced Materials

DOI: 10.1002/adma.202504592

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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