Ein Drittel des Gemüses weltweit wird nur für den Müll produziert – damit war auch der gesamte Energieeinsatz und die Bewässerung umsonst. (Bild: Redaktion/PiPaPu)
Wer kennt es nicht: Man kauft frisches Gemüse, lagert es sorgsam – und doch landet es nach wenigen Tagen welk und verfärbt im Müll. Weltweit gehen so über 30 Prozent aller Lebensmittel nach der Ernte verloren. Ein Team aus Boston und Singapur will das nun ändern – mit einer Methode, die feine Seidennadeln und das Schlafhormon Melatonin kombiniert. Ihr Ziel: die Haltbarkeit von Pflanzen verlängern, ohne auf aufwendige Kühlung angewiesen zu sein.
Nadeln aus Seide – ein zartes Werkzeug für die Haltbarkeit
Mikronadeln aus Seidenprotein – so fein, dass sie die wachsartige Haut von Pflanzen durchdringen, ohne Schaden anzurichten – sind das Herzstück der neuen Technologie. Aufgetragen werden sie als kleine Pflaster an der Schnittstelle von frisch geerntetem Pak Choy, einem in Asien beliebten Blattgemüse. Über das pflanzeneigene Gefäßsystem verteilt sich das injizierte Melatonin im Inneren der Pflanze.
„Dies ist das erste Mal, dass wir Mikronadeln einsetzen konnten, um die Haltbarkeit eines frisch geernteten Gemüses zu verlängern,“ sagt Benedetto Marelli, leitender Autor der Studie und Professor am MIT. „Wir wollten gezielt ein Molekül nutzen, das die pflanzliche Physiologie nach der Ernte reguliert – und Melatonin ist dafür ideal.“
Melatonin ist nicht nur ein menschliches Schlafhormon, sondern auch in Pflanzen aktiv. Es beeinflusst dort unter anderem das Alterungsverhalten, die Photosynthese und die Reaktion auf Stress. Genau diese Eigenschaften machen es für die Nachernte-Behandlung interessant.
Vier Tage mehr Frische – ohne Kühlkette
Der Effekt der Behandlung ist beachtlich: Pak Choy, das normalerweise schon nach zwei Tagen unansehnlich wird, blieb bei Raumtemperatur bis zu acht Tage lang verkaufsfähig. Gekühlt hielt es sogar bis zu 25 Tage durch. Gelbfärbung, Gewichtsverlust und Chlorophyllabbau wurden signifikant verzögert. Klassische Methoden wie das Besprühen mit Melatonin zeigten hingegen keinen Effekt.
„Nach der Ernte verderben viele Erträge, bevor sie überhaupt den Markt erreichen,“ erklärt Sarojam Rajani, Ko-Autorin der Studie und Wissenschaftlerin am Temasek Life Sciences Laboratory. „Gerade in Südostasien oder Afrika, wo Kühlinfrastruktur fehlt, ist das ein riesiges Problem.“
Für die Untersuchung wurden Mikronadel-Patches am unteren Teil des Pak Choy angebracht. Die Forscher beobachteten die Pflanzen anschließend über mehrere Tage hinweg – bei Raumtemperatur und unter Kühlung. In beiden Szenarien schnitten die behandelten Proben deutlich besser ab als unbehandelte Vergleichspflanzen.
Pflanzliches Anti-Stress-Programm
Was passiert im Inneren der Pflanze? Die eingesetzte Dosis Melatonin ist gering – so gering, dass sie vom pflanzlichen Stoffwechsel vollständig verarbeitet wird. Trotzdem löst sie eine Kaskade an Schutzmechanismen aus: Antioxidative Prozesse setzen ein, die Zellalterung wird gebremst, das Chlorophyll bleibt stabil.
„Wir konnten zeigen, dass die Pflanzen weniger Stressreaktionen zeigen, wenn sie mit Melatonin behandelt wurden,“ erklärt Yangyang Han, Co-Autorin und Forscherin bei SMART. „Das verlängert die Haltbarkeit enorm.“
Auch genetische Analysen bestätigen die Wirkung: Die Melatonin-Injektion aktiviert gezielt Gene, die den Abbau von Blattgrün verlangsamen und die Alterung verzögern.
Landwirtschaftstechnologie ohne Stromanschluss
Noch werden die Mikronadel-Patches per Hand aufgetragen – ein aufwendiger Prozess. Doch das könnte sich ändern. Die Forschenden denken bereits an automatisierte Systeme: Traktoren oder Drohnen, die die Patches effizient auf Feldern verteilen. Besonders in tropischen oder infrastrukturschwachen Regionen, wo Kühlketten kaum umsetzbar sind, könnte das eine nachhaltige Lösung sein.
„Für eine breite Anwendung müssen die Kosten sinken,“ sagt Marelli. „Aber die Aussicht, auch ohne Kühlung eine stabile Versorgung mit frischem Gemüse zu gewährleisten, ist vielversprechend.“ Das nächste Ziel der Forschung: weitere Pflanzenarten testen, neue hormonelle Wirkstoffe evaluieren – und das Verfahren so weiterentwickeln, dass es landwirtschaftlich einsetzbar wird.
Hoffnung für globale Ernährungssicherheit
Die Technologie könnte mehr sein als nur ein Frischetrick. In einer Welt, in der Milliarden Menschen keinen Zugang zu konstant gekühlten Lebensmitteln haben, ist jedes Verfahren zur Haltbarkeitsverlängerung ein Beitrag zur Versorgungssicherheit. Und vielleicht auch ein kleiner Schritt im Kampf gegen die Verschwendung – nicht nur im Kühlschrank, sondern entlang der gesamten Lieferkette.
Kurzinfo: Mikronadel-Technologie für Gemüse
– Biologisch abbaubare Seiden-Mikronadeln
– Anwendung bei Pak Choy, direkt nach der Ernte
– Verlängerte Haltbarkeit: +4 Tage bei Raumtemperatur, +10 Tage unter Kühlung
– Melatonin wirkt antioxidativ und alterungshemmend
– Applikation bisher manuell, künftig automatisierbar
– Ideal für Regionen ohne Kühlinfrastruktur
– Einsatzpotenzial bei vielen weiteren Nutzpflanzen
– Ziel: Reduktion von Lebensmittelverlusten weltweit
Originalpublikation:
Benedetto Marelli et al., “Precise Delivery of Physiological Doses of Melatonin in Planta to Control Postharvest Physiology and Extend Shelf Life Outside the Cold Chain”
https://dspace.mit.edu/handle/1721.1/159257
Über den Autor / die Autorin

- Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.
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