Verdoppeln wollen die Europäer ihren Anteil, wenn es schlecht läuft, könnte sich der Anteil dagegen halbieren – erst recht, wenn China künftig wichtige Ressourcen zurückhält.
(Bild: Redaktion/GPT4o)
Ein kleiner Splitter Silizium, eingepackt in hauchdünne Schichten – und doch ein gewaltiger Hebel für Wirtschaft, Technik und Macht. Mikrochips sind die unsichtbaren Motoren moderner Gesellschaften. Wer sie produziert, bestimmt die Zukunft. Im globalen Wettlauf um die kleinsten Schaltkreise der Welt aber droht Europa, den Anschluss zu verlieren.
20-Prozent-Ziel außer Reichweite
Eigentlich wollte die Europäische Union ihren Anteil an der weltweiten Chipproduktion bis 2030 auf stolze 20 Prozent steigern. Doch laut einem aktuellen Bericht des Europäischen Rechnungshofs ist dieses Ziel kaum noch realistisch. „Wir hinken unseren ehrgeizigen Zielen derzeit weit hinterher“, räumt Annemie Turtelboom, zuständiges Mitglied des Rechnungshofs, unumwunden ein. Um das gesteckte Ziel zu erreichen, müsste Europa seine Produktionskapazitäten vervierfachen – ein Tempo, das derzeit nicht absehbar ist.
Finanzierungslücken und strategische Schwächen
Ein zentrales Problem ist die Finanzierung: Nur 5 Prozent der im sogenannten Chip-Gesetz verankerten Mittel – etwa 4,5 Milliarden Euro – werden direkt von der EU-Kommission bereitgestellt. Den Löwenanteil müssen die Mitgliedstaaten und die Industrie selbst aufbringen. Im Vergleich zu den 405 Milliarden Euro, die führende Hersteller weltweit allein zwischen 2020 und 2023 investiert haben, wirkt Europas Chip-Fonds bescheiden. Zudem fehlt der EU-Kommission ein Mandat, Investitionen der Mitgliedstaaten zu koordinieren – eine strukturelle Schwäche im System.
Rohstoffmangel, Energiepreise, geopolitische Unsicherheiten
Neben den finanziellen Herausforderungen bremsen weitere Faktoren den europäischen Aufholversuch: der schwierige Zugang zu Rohstoffen, hohe Energiekosten, der Fachkräftemangel und die zunehmenden geopolitischen Spannungen. Besonders alarmierend: Europas Mikrochip-Industrie ist stark auf wenige große Projekte konzentriert. Scheitert eines davon, könnten ganze Sektoren ins Wanken geraten.
Fortschritte – aber auf dünnem Eis
Zwar hat das Chip-Gesetz laut Rechnungshof der europäischen Mikrochip-Industrie neuen Schwung verliehen. Der Bau neuer Werke und die Förderung von Forschung und Innovation wurden angestoßen. Doch die Prüfer warnen: Es gebe „eine Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit, die überbrückt werden müsse“. Vieles sei noch vage geregelt – etwa die Frage, ob das Chip-Gesetz auch der Nachfrage nach herkömmlichen Mikrochips gerecht wird oder primär auf Spitzentechnologie setzt.
Ernüchternde Prognosen für den Marktanteil
Realistisch betrachtet wird die EU ihren Anteil an der weltweiten Wertschöpfungskette bestenfalls leicht steigern: von 9,8 Prozent im Jahr 2022 auf 11,7 Prozent im Jahr 2030, so die Kommission in ihrer Juli-2024-Prognose. Eine andere Zahl, die aufhorchen lässt, liefert der Elektronik- und Digitalindustrie-Branchenverband ZVEI bereits Ende letzten Jahres: In einer Studie vom November 2024 prognostiziert er, dass der europäische Weltmarktanteil bei nur 5,9 Prozent liegen könnte – ein klares Warnsignal für die Wettbewerbsfähigkeit Europas im Hochtechnologiesektor.
Dabei waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal in naher Zukunft mögliche Exportkontrollen der Chinesen in punkto seltene Erden berücksichtigt.
Mikrochip-Industrie in der EU
Selbst gestecktes Ziel: 20 Prozent Weltmarktanteil bis 2030
Ist-Zustand (2022): 9,8 Prozent Weltmarktanteil
Prognose (EU-Kommission Juli 2024): 11,7 Prozent bis 2030
Prognose (ZVEI-Studie November 2024): 5,9 Prozent Weltmarktanteil
Herausforderungen: Finanzierung, Rohstoffmangel, hohe Energiekosten, geopolitische Spannungen, Fachkräftemangel
Über den Autor / die Autorin

- Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.
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