Blut-Hirn-Schranke als Ansatzpunkt: Nanopartikel heilen Alzheimer-Symptome bei Mäusen

Blut-Hirn-Schranke als Ansatzpunkt: Nanopartikel heilen Alzheimer-Symptome bei Mäusen

Links: Fluoreszenz-Mikroskopische Aufnahme eines Mausgehirns zwölf Stunden nach Behandlung mit Nanopartikeln, Rechts: Aufnahme eines unbehandelten Mausgehirns (Rot: Amyloid-β-Ablagerungen. Grün: Gefäße der Blut-Hirn-Schranke)

(Bild: Institute for Bioengineering of Catalonia/IBEC)


Kurzinfo: Alzheimer-Therapie mit Nanopartikeln

  • Nanopartikel wirken selbst aktiv, nicht als Träger
  • Reparatur der Blut-Hirn-Schranke ermöglicht Abtransport von Amyloid-β
  • Drei Dosen reichten bei Mäusen zur Umkehr der Krankheit
  • Verbesserte kognitive Funktionen für mindestens sechs Monate
  • Aktivierung des natürlichen Proteins LRP1 zur „Entgiftung“ des Gehirns
  • Neue Perspektive: Alzheimer als Gefäßerkrankung
  • Forschung von IBEC (Barcelona) und West China Hospital (Sichuan University)

Es ist eines der größten Rätsel der Medizin: Wie lässt sich Alzheimer aufhalten – oder gar umkehren? Forschende des Institute for Bioengineering of Catalonia (IBEC) und des West China Hospital der Sichuan University haben nun einen Weg gefunden, die Krankheit bei Mäusen tatsächlich rückgängig zu machen. Der Schlüssel liegt nicht in den Neuronen selbst, sondern in der Blut-Hirn-Schranke, jenem unscheinbaren Schutzwall, der das Gehirn vom Blutkreislauf trennt.

Das Tor zum Gehirn

Diese Barriere ist weit mehr als ein Filter: Sie regelt, welche Stoffe in das Gehirn gelangen und welche draußen bleiben. In Alzheimer-Fällen versagt dieses Tor. Giftige Eiweiße wie Amyloid-β sammeln sich an und stören die neuronale Kommunikation. Das Team entwickelte daher eine neue Klasse von Nanopartikeln – sogenannte supramolekulare Medikamente –, die das Gleichgewicht an dieser Schnittstelle wiederherstellen sollen.

Anders als herkömmliche Nanomedikamente transportieren sie keine Wirkstoffe, sondern wirken selbst aktiv. Sobald sie injiziert werden, helfen sie der Blut-Hirn-Schranke, schädliche Proteine aus dem Gehirn zu schleusen. Nach Angaben des Forschungsteams genügten drei Dosen, um die Krankheitssymptome bei Versuchstieren deutlich zu lindern.

Rückkehr zur Normalität

Nur eine Stunde nach der Injektion beobachteten wir eine Reduktion der Amyloid-β-Menge im Gehirn um 50 bis 60 Prozent“, erklärt Junyang Chen vom West China Hospital. In Langzeitversuchen behandelten die Forschenden zwölf Monate alte Mäuse – das entspricht etwa einem 60-jährigen Menschen – und testeten ihr Verhalten nach sechs Monaten erneut. Die Ergebnisse überraschten selbst die Expertinnen und Experten: Die Tiere hatten ihr normales Verhalten vollständig zurückgewonnen.

Der Effekt, so Giuseppe Battaglia vom IBEC, gehe weit über eine kurzfristige Besserung hinaus. „Der Langzeiteffekt entsteht durch die Wiederherstellung der Hirngefäße. Sobald diese wieder arbeiten, beginnen sie, Amyloid-β und andere schädliche Moleküle zu beseitigen. So kann das gesamte System sein Gleichgewicht zurückgewinnen.“

Ein molekulares Reset

Im gesunden Gehirn sorgt das Protein LRP1 dafür, dass Abfallstoffe erkannt, gebunden und über die Blut-Hirn-Schranke ausgeschleust werden. Doch bei Alzheimer gerät dieser Mechanismus aus dem Takt: Entweder bindet LRP1 zu stark und verstopft, oder zu schwach und verliert seine Funktion. Die neuen Nanopartikel imitieren die natürlichen Liganden von LRP1 und fungieren damit als eine Art „Reset-Schalter“. Sie aktivieren den Transportmechanismus neu, wodurch die schädlichen Proteine wieder abfließen können.

Diese Strategie vereint molekulare Präzision mit einer erstaunlich einfachen Logik: Statt Symptome zu bekämpfen, wird das natürliche Reinigungssystem des Gehirns wieder in Gang gesetzt – mit sichtbaren Erfolgen.


Originalpublikation:

Junyang Chen et al.,

Multivalent modulation of endothelial LRP1 induces fast neurovascular amyloid-β clearance and cognitive function improvement in Alzheimer’s disease models

In: Signal Transduction and Targeted Therapy

DOI: 10.1038/s41392-025-02426-1

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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