Mikrobiom im Blick: Neue Weizenzüchtung senkt Einsatz von Stickstoff-Dünger

Mikrobiom im Blick: Neue Weizenzüchtung senkt Einsatz von Stickstoff-Dünger

Das Holobiont-Konzept betrachtet Pflanze und Mikrobiom als funktionale Einheit. Das Ziel: Weizensorten zu entwickeln, die sich mit nützlichen Bodenbakterien vernetzen und Stickstoff effizienter nutzen.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


In einer Zeit, in der die Landwirtschaft nicht nur Erträge sichern, sondern auch ihre Klimabilanz verbessern muss, rückt ein unsichtbares Netzwerk ins Zentrum der Forschung: das Mikrobiom der Pflanzen. Vor allem bei einer globalen Schlüsselressource wie Weizen könnte dieser neue Blickwinkel entscheidende Veränderungen bewirken.

Vom Einzeller zum Systemdenken

Weizen ist nicht allein auf dem Acker. Rund um seine Wurzeln tummeln sich unzählige Mikroorganismen, die Wasser und Nährstoffe verarbeiten, Krankheitserreger abwehren und komplexe chemische Signale senden. Die Idee, dieses Netzwerk gezielt in die Pflanzenzüchtung einzubeziehen, hat nun ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Wolfram Weckwerth von der Universität Wien auf eine neue Stufe gehoben. „Die Evolution der Pflanzen wird maßgeblich durch die Interaktion mit Mikroorganismen bestimmt“, sagt Weckwerth. „Dennoch ist die Ökologie des Pflanzen-Holobionten auf molekularer Ebene kaum erforscht. Diese Beziehungen bieten jedoch enorme Vorteile für eine nachhaltige Landwirtschaft.

Das sogenannte Holobiont-Konzept betrachtet Pflanze und Mikrobiom als funktionale Einheit – vergleichbar mit einer Symbiose auf molekularer Ebene. Das Ziel: Weizensorten zu entwickeln, die sich mit nützlichen Bodenbakterien vernetzen und Stickstoff effizienter nutzen, ganz ohne chemischen Dünger.

Weniger Stickstoff, mehr Nachhaltigkeit

Der Einsatz von Stickstoffdünger ist eines der großen Umweltprobleme moderner Landwirtschaft. Mehr als die Hälfte des Düngers gelangt ungenutzt in die Umwelt – mit Folgen wie Gewässerverschmutzung, Treibhausgasemissionen und Artenrückgang. Das Holobiont-Konzept will diesen Kreislauf durchbrechen, indem es auf Weizenlinien setzt, die sogenannte BNIs – biologische Nitrifikationsinhibitoren – abgeben. Diese bremsen bestimmte Bodenprozesse und reduzieren so die Stickstoffverluste auf natürliche Weise.

In einer aktuellen Studie hat das Team um Weckwerth die Fähigkeit verschiedener Weizensorten zur BNI-Produktion getestet. „Unsere Analyse der Wurzelausscheidungen zeigt erhebliche Unterschiede zwischen den Sorten“, erklärt Erstautor Arindam Ghatak. „Diese fördern oder hemmen spezifische Mikrobiom-Zusammensetzungen und erlauben die Auswahl von Linien mit besonders hoher BNI-Aktivität.

Algorithmen als Zuchtassistenten

Um die besten Sorten zu identifizieren, setzen die Forschenden auf modernste Datenanalyse. Mithilfe von PANOMICS-Technologien – also der gleichzeitigen Auswertung genomischer, metabolischer und molekularer Informationen – entstehen riesige Datenmengen, die durch Machine Learning ausgewertet werden. Das erlaubt es, Muster in der Interaktion von Pflanze und Mikrobiom zu erkennen und gezielt neue Sorten zu züchten.

In Kombination mit Machine-Learning-Algorithmen eröffnet das eine vielversprechende Züchtungsplattform“, erklärt Weckwerth. „So können wir neue Weizenvarianten mit großem Potenzial und hoher Resilienz gegen Klimaveränderungen erzeugen.

Die Vision: Eine Landwirtschaft, die auf den natürlichen Fähigkeiten der Pflanzen basiert, statt auf chemischen Eingriffen. Und die dabei gleichzeitig den Boden schont, die Umwelt schützt und Erträge sichert.

Ein Paradigmenwechsel mit globaler Perspektive

Was auf den ersten Blick wie ein molekularbiologisches Nischenthema wirkt, ist in Wahrheit ein globales Zukunftsprojekt. Die Forschungsteams kooperieren mit Partnern in Australien, Indien, Japan, Kanada, den USA und Mexiko. Gemeinsam entwickeln sie ein neues Modell für die Landwirtschaft der Zukunft – datengestützt, ökologisch und global vernetzt.

Das Holobiont-Konzept ist dabei mehr als ein wissenschaftlicher Ansatz. Es ist eine neue Sichtweise auf das Verhältnis zwischen Mensch, Pflanze und Umwelt – eine Sichtweise, in der komplexe biologische Netzwerke nicht gestört, sondern genutzt werden. Die nächste Generation Weizen könnte so nicht nur klimaresistenter werden – sondern auch zum Symbol für eine andere Art des Wirtschaftens.


Kurzinfo: Holobiont-Prinzip in der Pflanzenzüchtung

  • Begriff: Holobiont bezeichnet eine funktionale Einheit aus Pflanze und ihren assoziierten Mikroorganismen.
  • Ziel: Reduktion von Stickstoffdüngung durch Nutzung biologischer Prozesse.
  • BNIs: Biologische Nitrifikationsinhibitoren hemmen die Umwandlung von Ammonium zu Nitrat im Boden.
  • Technologie: Einsatz von PANOMICS-Daten und Machine Learning zur Sortenselektion.
  • Potenzial: Geringere Umweltbelastung, gesündere Böden, klimaresilientere Sorten.
  • Forschung: Universitäten in Wien, Athen, Kyoto, Mexiko-Stadt und weiteren Standorten.

Originalpublikation:
Wolfram Weckwerth et al.,
„Natural variation of the holobiont for sustainable
agroecosystems“,
in: Trends in Plant Science (2025).
DOI: 10.1016/j.tplants.2025.05.006

Über den Autor / die Autorin

Arty Winner
Arty Winner
Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.

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