Robotische Haut könnte die Schnittstelle der Zukunft sein – eine neue Materialklasse, die sich autonom ihrer Umgebung anpasst, Daten sammelt und Informationen darstellt.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
Wenn ein Oktopus seine Hautfarbe wechselt, tut er das nicht zur Zierde. Es kann zur Tarnung dienen, zur Kommunikation, aber auch zur Temperaturregelung. Dieses breite Spektrum an Fähigkeiten aus der Tiefe des Meeres hat jetzt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Nebraska zu einer neuen Idee inspiriert: robotische Haut, die denken kann.
An der University of Nebraska–Lincoln arbeitet ein Team um den Chemiker Stephen Morin an synthetischen Materialien, die ähnlich funktionieren wie die Farbzellen von Tintenfischen, Kraken oder Sepien – sogenannte Chromatophoren. Die künstlichen Pendants könnten eine neue Ära für Soft-Roboter und tragbare Technologien einläuten.
Weiche Maschinen, autonome Materialien
„Autonome Materialien“ nennt Morin die neue Materialklasse, die sich ohne menschlichen Input an ihre Umwelt anpasst.
„Wir arbeiten in einem aufkommenden Bereich, den man manchmal autonome Materialien nennt“, sagt Morin. „Diese Materialien können mit ihrer Umgebung interagieren, sie wahrnehmen und darauf reagieren – ganz ohne Nutzereingriff.“
Die neue Technologie basiert auf dehnbaren Polymerstrukturen, die mikroskopisch kleine Farbzellen enthalten. Werden sie gedehnt oder stimuliert, verändern sie Farbe und Muster – ganz wie bei den Meerestieren. Anders als bei klassischen Displays braucht es dafür keine Stromversorgung oder starren Rahmen.
Farbwechsel auf Knopfdruck – oder ganz ohne
In ihrer Studie, veröffentlicht im Fachjournal Advanced Materials, haben die Forschenden eine mehrschichtige, künstliche Haut vorgestellt. Jede Schicht lässt sich so programmieren, dass sie auf bestimmte Umweltreize reagiert – zum Beispiel Temperatur, pH-Wert oder Feuchtigkeit. „Man kann sich das vorstellen wie bei einem Oktopus, der blitzschnell seine Muster ändert – nur eben in einer vollständig synthetischen Struktur“, so Morin.
„Solche Geräte sind enorm vielseitig“ ergänzt Brennan Watts, Doktorand in Morins Labor. „Wir können die Chemie der Einzelkomponenten feinjustieren und Materialien schaffen, die auf ganz bestimmte Reize reagieren.“
Das eröffnet neue Wege für Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine, etwa bei tragbaren Geräten oder medizinischen Sensoren, die sich flexibel an die Haut anschmiegen und ihre Umgebung analysieren können.
Anwendungsfelder zwischen Biologie und Technologie
Ein klassisches Smartphone-Display kann genau eine Sache: anzeigen. Doch was, wenn sich die Oberfläche selbst an den Körper oder ein Objekt anpasst – und dabei gleichzeitig Informationen liefert?
„Stellen Sie sich tragbare Technologie vor, die gleichzeitig Temperatur, pH-Wert, Luftfeuchtigkeit und vieles mehr messen kann. Mit klassischen Systemen wäre das kaum gleichzeitig möglich“, sagt Watts.
Denkbar sind Einsatzszenarien in der Umweltüberwachung, in der Biomedizin oder in der Robotik, wo Roboter mit weichen, sensorisch aktiven Oberflächen ausgestattet werden. Auch Unterwassergeräte könnten profitieren – denn die Materialien funktionieren besonders gut in feuchten oder flüssigen Umgebungen.
Keine Konkurrenz, sondern Ergänzung
Ganz ersetzen sollen die neuen „weichen Materialien“ herkömmliche Technik nicht. Vielmehr könnten sie dort helfen, wo starre Systeme an ihre Grenzen stoßen – etwa bei flexibler Kleidung, biokompatiblen Sensoren oder Robotern, die sich durch enge Umgebungen bewegen.
„Es eröffnet viele spannende Möglichkeiten – in der weichen Robotik, bei neuen Mensch-Maschine-Schnittstellen oder im Design von Signalanzeigen“ so Morin. Die Technologie sei nicht nur optisch faszinierend, sondern funktional überzeugend.
Noch sind die Anwendungen vorwiegend im Labor, aber der Weg ist geebnet. Inspiriert vom Meer, gemacht für die Zukunft.
Kurzinfo: Die Haut der Zukunft – inspiriert vom Ozean
- Materialtyp: Stretchbare, stimuli-responsive Polymere mit künstlichen „Chromatophoren“
- Funktion: Farb- und Musterveränderung durch physikalische oder chemische Reize
- Vorbild: Cephalopoden wie Tintenfische, Oktopusse und Sepien
- Anwendungsfelder: Soft-Robotik, Wearables, Sensorik, Human-Machine-Interfaces
- Besonderheit: Autonome Reaktion ohne elektrische Energiezufuhr
- Vorteile: Flexibel, biokompatibel, in feuchter Umgebung einsetzbar
- Beispiel: Ein tragbares Gerät, das simultan Temperatur, pH und Feuchte misst
Originalpublikation:
Stephen Morin et al.,
„Synthetic Chromatophores for Color and Pattern Morphing Skins“,
in: Advanced Materials
(24-May-2025)
DOI: 10.1002/adma.202505104
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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