Es wäre eine Art energetisches Grundeinkommen: Schweizer Forschende schlagen vor, jedem Bürger ein Solarstrom-Kontingent zur Verfügung zu stellen – und zu diesem Zweck die Zahl der Photovoltaik-Anlagen deutlich zu erhöhen.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
Es ist ein kühner Plan – und zugleich ein einfacher Gedanke: Wenn Schulen, Straßen und Wasserversorgung zur öffentlichen Grundausstattung gehören, warum nicht auch Strom? Harald Desing und sein Team an der Empa wollen die Energiewende neu denken – und schlagen eine „solare Grundversorgung“ für alle vor. Ihr Modell basiert auf gerechtem Zugang, dezentraler Infrastruktur und einem Sonnenprinzip: Energie gibt’s, wenn sie da ist.
Sonnenenergie als Gemeingut
Im Zentrum des Vorschlags steht ein öffentlich finanziertes Stromkontingent von 500 Watt pro Person. Das entspricht rund 4.400 Kilowattstunden im Jahr – genug, um die fossile Lücke zu schließen, wenn alle mitmachen. Der Strom wäre jedoch nicht permanent verfügbar, sondern nur, wenn die Sonne scheint.
„Viele essenzielle Dienste werden bereits als Grundversorgung zur Verfügung gestellt. Warum nicht also auch die Grundlage für die Energiewende?“ , fragt Desing. Und er stellt klar: Es gehe nicht darum, allen den gesamten Stromverbrauch zu finanzieren. Die Grundversorgung solle ein Fundament sein – und ein Anreiz, Strom dann zu nutzen, wenn er erzeugt wird.
Das Sonnenverhalten belohnen
Eine Gesellschaft, die sich wie eine Sonnenblume nach dem Tageslicht richtet – so beschreiben die Forschenden ihre Vision. Wer seinen Verbrauch anpasst, profitiert. Wer wenig Strom braucht, kann überschüssige Energie weitergeben, etwa als digitales Guthaben für Mobilität.
„Heute profitieren vor allem Eigentümer von Solarförderungen. Unser Modell bringt auch Mieterinnen und Menschen ohne Ersparnisse ins Boot.“ , erklärt Desing. Damit würde ein zentraler Kritikpunkt an bisherigen Förderinstrumenten adressiert: die soziale Schieflage.
Technisch realistisch, wirtschaftlich tragbar
Laut Berechnungen der Forschenden wäre der Aufbau in nur fünf Jahren möglich. Rund ein Drittel aller Dächer in der Schweiz – also etwa 21 Quadratmeter pro Person – müssten mit Photovoltaik bestückt werden. Auch Parkplätze, Lärmschutzwände und Straßenränder könnten genutzt werden, ohne neue Flächen zu beanspruchen.
Die Kosten? Etwa 58 Milliarden Franken, verteilt über fünf Jahre – also rund ein Prozent des BIP. Zum Vergleich: Das entspricht den jährlichen Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur oder dem Doppelten der Militärausgaben. Der Clou: Die Investition würde sich bereits nach sechs bis sieben Jahren amortisieren.
„Die Endverbraucher geben heute rund 20 Milliarden Franken pro Jahr für fossile Energieträger aus. Die solare Grundversorgung könnte diese Ausgaben auf null senken.“ , sagt Desing.
Solarjahr statt Wehrdienst?
Herausforderung Nummer eins: Fachkräfte. 50.000 Personen wären nötig, um die Panels zu installieren. Doch die Forschenden beruhigen: Ein großer Teil der Arbeit lässt sich bereits nach wenigen Wochen Ausbildung erledigen. Es gibt bereits sogenannte Solarcamps, und Desing denkt noch weiter:
„Warum nicht ein Solarjahr einführen – als Beitrag junger Menschen zum Gemeinwohl, etwa als Alternative zum Militärdienst?“
Silber in der Schublade
Auch bei den Materialien sehen die Forschenden kein unüberwindbares Hindernis. Der Hauptbestandteil der Solarzellen, Silizium, ist reichlich vorhanden. Kritischer sind Metalle wie Silber, Aluminium und Zinn – aber auch hier gibt es Lösungsansätze. „Allein in privaten Haushalten lagert weltweit genug Silber in Besteckschubladen, um 500 Watt Solarleistung für alle Menschen bereitzustellen.“ , betont Desing. Eine Verlagerung der Produktion nach Europa könnte zudem neue industrielle Impulse setzen.
Ein Modell mit Strahlkraft
Die Forschenden betonen, dass ihr Vorschlag flexibel und skalierbar ist – von der Gemeinde bis zur ganzen Welt. Wichtig sei vor allem: Die Grundversorgung dürfe nicht zum Energieverschleiss verleiten und müsse mit einem klaren Verzicht auf fossile Energien einhergehen. Langfristig sehen sie sogar Potenzial für CO₂-Rückgewinnung durch überschüssigen Solarstrom. „Je mehr Solarkapazität wir haben, desto eher können wir historische Emissionen aus der Atmosphäre holen.“
Ein Solarstrom-Budget für alle – als Brücke in eine gerechtere Energiezukunft.
Kurzinfo: Solare Grundversorgung – das Konzept
- Strom-Budget: 500 Watt Solarleistung pro Person (etwa 4.400 kWh/Jahr)
- Nutzung: Nur bei Sonnenschein verfügbar – keine öffentliche Speicherung
- Finanzierung: Einmalig rund 6.600 Franken pro Kopf alle 30 Jahre
- Flächenbedarf: Etwa 21 m² PV-Fläche pro Person – ein Drittel der Dächer reicht
- Ziel: Stromautonomie, soziale Gerechtigkeit, schnellere Energiewende
- Baukosten: 58 Mrd. CHF in 5 Jahren, Amortisation nach 6–7 Jahren
- Fachkräftebedarf: ca. 50.000, größtenteils kurzfristig qualifizierbar
- Soziale Wirkung: Besonders Vorteil für Mieter und Menschen mit geringem Einkommen
- Langfristiges Potenzial: CO₂-Rückgewinnung bei Stromüberschüssen
Originalpublikation:
H Desing et al.:
„Solar basic service—an idea for just acceleration of the energy transition“,
in: Progress in Energy (2025);
DOI: 10.1088/2516-1083/adc370
Über den Autor / die Autorin

- Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.
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