Menschliche neuronale Stammzellen in Zellkultur – sie wurden aus normalen menschlichen Zellen gewonnen und anschließend in das Hirn von Mäusen mit Schlaganfall-Symptomen implantiert.
(Bild: Universität Zürich)
Ein Schlaganfall trifft das Gehirn wie ein plötzlicher Stromausfall. Von einem Moment auf den anderen fallen Funktionen aus, die zuvor selbstverständlich waren: Bewegungen, Sprache, Erinnerungen. Für Millionen Menschen weltweit bleibt das oft ein lebenslanges Schicksal. Doch Forschende aus Zürich zeigen nun, dass neuronale Stammzellen verlorene Hirnfunktionen zumindest bei Mäusen zurückbringen können – ein Schritt, der den Blick auf mögliche Therapien beim Menschen verändert.
Eine Volkskrankheit ohne Heilmittel
Einer von vier Erwachsenen erleidet im Laufe seines Lebens einen Schlaganfall. Etwa die Hälfte trägt bleibende Schäden davon – Lähmungen, Sprachstörungen, kognitive Defizite. Denn abgestorbene Nervenzellen gelten bisher als irreparabel. Medikamente und Reha-Programme können Symptome lindern, doch ein echtes Heilmittel gibt es nicht. Christian Tackenberg, Leiter einer Forschungsgruppe für Neurodegeneration an der Universität Zürich, beschreibt die Dringlichkeit: «Daher ist es essenziell, neue therapeutische Ansätze für eine mögliche Hirnregeneration nach Krankheit oder Unfall zu verfolgen.»
Die neue Studie setzt genau dort an: beim Versuch, das Gehirn mit Stammzellen nicht nur zu stabilisieren, sondern tatsächlich zu reparieren.
Neuronale Stammzellen als Werkzeugkasten
Die Forschenden setzten auf sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen, die aus normalen Körperzellen gewonnen werden. Aus ihnen entstehen neuronale Stammzellen, die sich zu unterschiedlichen Zelltypen des Nervensystems entwickeln können. Bei Mäusen lösten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen künstlichen Schlaganfall aus, der dem menschlichen Hirninfarkt ähnelt.
Eine Woche später transplantierten sie die Stammzellen in die betroffenen Hirnregionen. Der Effekt überraschte selbst die Fachleute. Tackenberg erklärt: «Es zeigte sich, dass die Stammzellen den gesamten Analysezeitraum von fünf Wochen überlebten und sich grösstenteils zu Nervenzellen umbildeten − die sogar mit den bereits vorhandenen Hirnzellen kommunizierten.»
Mehr als nur neue Nervenzellen
Neben der Bildung neuer Nervenzellen stießen die Forschenden auf weitere regenerative Prozesse. Es bildeten sich neue Blutgefäße, Entzündungen gingen zurück, die Blut-Hirn-Schranke stabilisierte sich. Auch motorische Einschränkungen der Mäuse verschwanden – gemessen mit einer KI-gestützten Ganganalyse.
Diese Ergebnisse heben sich von früheren Studien ab, die oft nur kurzfristige Effekte nach Transplantationen untersuchten. Das Zürcher Team konnte nun zeigen, dass Stammzellen nicht nur kurzfristig helfen, sondern komplexe Heilungsprozesse in Gang setzen.
Klinische Anwendung im Blick
Für Tackenberg war klar, dass der Schritt ins Labor nur der Anfang ist. Schon im Studiendesign achtete er auf Aspekte, die für eine spätere Anwendung beim Menschen entscheidend sein könnten. So wurden die Zellen ohne tierische Hilfsstoffe hergestellt – ein Protokoll, das gemeinsam mit dem renommierten CiRA-Institut in Kyoto entwickelt wurde.
Bemerkenswert ist auch das Zeitfenster: Am besten funktioniert die Behandlung, wenn sie nicht sofort, sondern eine Woche nach dem Schlaganfall erfolgt. Das könnte in Kliniken entscheidend sein, wo Vorbereitungen und Logistik Zeit brauchen.
Doch die Forschenden bremsen vorschnellen Optimismus. «Wir müssen die Risiken minimieren und eine potenzielle Anwendung im Menschen vereinfachen.», mahnt Tackenberg. Seine Gruppe arbeitet deshalb an Sicherheitsmechanismen, die unkontrolliertes Zellwachstum verhindern sollen. Parallel entwickeln sie Methoden, Stammzellen über das Blut zu verabreichen – weniger invasiv als direkte Hirnoperationen.
Ein vorsichtiger Blick in die Zukunft
Die internationale Forschungsgemeinschaft beobachtet das Projekt genau. In Japan laufen bereits klinische Studien mit Stammzellen gegen Parkinson. Der Schlaganfall könnte, so Tackenberg, bald folgen: «Der Schlaganfall könnte eine der nächsten Krankheiten sein, für die eine solche Studie möglich wird.»
Kurzinfo: Stammzellen nach Schlaganfall
- Schlaganfall ist weltweit eine der häufigsten Todes- und Behinderungsursachen.
- Betroffene leiden oft dauerhaft unter Lähmungen oder Sprachverlust.
- Forschende der Universität Zürich testeten Stammzelltransplantationen in Mäusen.
- Ergebnisse: Bildung neuer Nervenzellen, Gefäßwachstum, Rückgang von Entzündungen.
- Auch motorische Fähigkeiten kehrten zurück.
- Stammzellen wurden ohne tierische Hilfsstoffe hergestellt – wichtig für den klinischen Einsatz.
- Beste Wirkung zeigte sich eine Woche nach Schlaganfall.
- Risiken: unkontrolliertes Zellwachstum, noch ungelöste Fragen zur Sicherheit.
- Forschung läuft in Kooperation mit der USC und dem CiRA in Kyoto.
- Ziel: sichere und praktikable Therapieansätze für Menschen mit Schlaganfall.
Originalpublikation:
Rebecca Z. Weber et al.: Neural xenografts contribute to long-term recovery in stroke via molecular graft-host crosstalk.
In: Nature Communications. 16 September 2025.
DOI: 10.1038/s41467-025-63725-3
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
Letzte Beiträge
Künstliche Intelligenz22. September 2025Vorbild für die Medizin: Globales KI-Modell zur Augendiagnose nutzt 100 Millionen Netzhautbilder
Hirnforschung22. September 2025Stammzellen geben Hoffnung: Mäusehirne erholen sich nach Schlaganfall
Hirnforschung19. September 2025Mini-Gehirne im Labor: Wie Organoide die KI energieeffizienter machen könnten
Biologie18. September 2025Soziale Gene: Was Bienen und Menschen verbindet
Schreibe einen Kommentar