Bisher ist die Tiefsee der letzte Lebensraum der Erde, in dem Menschen noch nicht für ein Massenaussterben von Tier- und Pflanzenarten gesorgt haben. Doch nun ist auch dieser Rückzugsraum der Natur zunehmend bedroht.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
In mehr als 4.000 Metern unter der Wasseroberfläche, fernab jeder Küste, schlummert in der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) ein Schatz: polymetallische Knollen, geformt über Jahrmillionen, reich an Mangan, Nickel und Kobalt. Ein kanadisches Unternehmen, The Metals Company, will sie nun fördern. Doch neue Forschungsergebnisse zeigen: Dort, wo Maschinen graben sollen, leben bedrohte Meeressäuger – und das Ökosystem ist weit verletzlicher als gedacht.
Wale im Abbaugebiet
Zwei wissenschaftliche Studien, veröffentlicht in Frontiers in Marine Science und dem Marine Pollution Bulletin, liefern eindrückliche Belege für die biologische Vielfalt in der scheinbar leeren Tiefsee. Forschende konnten in der CCZ unter anderem Pottwale, Gewöhnliche Delfine und Risso-Delfine nachweisen. Insgesamt wurden über 70 Delfingruppen akustisch erfasst, einige Arten ließen sich visuell beobachten – darunter auch ein gefährdeter Pottwal.
„Wenn der Tiefseebergbau Realität wird, sind Wale und Delfine mehreren Lärmquellen ausgesetzt – durch die gesamte Wassersäule hindurch“, erklärt Meeresbiologin Dr. Kirsten Young von der University of Exeter. Sie leitete die Studien und warnt: „ Viele Arten sind extrem empfindlich gegenüber bestimmten Frequenzen. Chronischer Ozeanlärm kann ihre soziale und jagdbezogene Kommunikation überlagern und sie aus wichtigen Lebensräumen vertreiben.“
Was wir nicht wissen, kann uns schaden
Ein zentrales Problem: Das Wissen über diese Region ist lückenhaft. Die CCZ liegt Hunderte Kilometer von der nächsten Küste entfernt, große Teile sind unerforscht. „ Wir wissen erstaunlich wenig über diese Ökosysteme – und über das, was sie stabil hält“, sagt Young. Besonders betroffen sind Arten, die am Meeresboden leben: viele davon sind langlebig, wachsen extrem langsam und reagieren empfindlich auf Störungen.
Und Störungen drohen nicht nur durch Maschinenlärm. Auch die gewaltigen Sedimentwolken, die beim Abbau aufgewirbelt werden, könnten sich über weite Strecken verteilen – und Nahrungsketten durcheinanderbringen. „Die Auswirkungen dieser Plumes auf die Ökologie sind kaum verstanden, könnten aber gravierend sein“, warnt Young.
Nur ein Drittel untersucht
Wie empfindlich die Arten in der CCZ auf Lärm reagieren, ist kaum bekannt. Laut der Übersichtsstudie wurden bislang nur etwa 35 Prozent der dort vorkommenden taxonomischen Gruppen hinsichtlich ihrer Geräuschempfindlichkeit wissenschaftlich untersucht. Besonders gefährdet sind laut Young sogenannte „soniferous fish“ – Fische, die zur Kommunikation auf akustische Signale angewiesen sind.
Lärm, der sich durch sogenannte SOFAR-Kanäle über hunderte Kilometer verbreitet, könnte für diese Tiere dramatische Folgen haben. Chronischer Stress, gestörte Orientierung, verändertes Jagdverhalten – all das sind mögliche Konsequenzen. Und weil viele Arten aufeinander angewiesen sind, könnten diese Störungen kaskadenartige Effekte im gesamten Ökosystem auslösen.
Wissenschaft contra Wirtschaft
Die Studien liefern Munition für Umweltorganisationen wie Greenpeace. Die Aktivistin Louisa Casson warnt: „Der nachgewiesene Aufenthalt von bedrohten Walen in Gebieten, die für Tiefseebergbau vorgesehen sind, ist ein weiterer Beleg, dass diese gefährliche Industrie niemals kommerziell starten darf.“
Die Debatte ist nicht neu – aber sie bekommt neue Dringlichkeit. Die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) hatte zuletzt Druck bekommen, erste Förderlizenzen freizugeben. Unternehmen wie The Metals Company versprechen Versorgungssicherheit mit „grünen“ Metallen für Elektroautos und Windräder. Doch was nützt ein nachhaltiger Antrieb, wenn dafür ein ganzes Ökosystem zerstört wird?
Der Preis des Unbekannten
Die Tiefsee ist die letzte große Wildnis der Erde – voller Leben, aber kaum erforscht. Was dort durch menschliches Eingreifen ausgelöst wird, lässt sich nur schwer rückgängig machen. Das macht die Forschung von Young und ihrem Team so brisant: Sie zeigt, dass die Risiken real sind, obwohl wir sie nicht vollständig verstehen.
Noch ist der Tiefseebergbau ein Versprechen – oder eine Drohung. Was daraus wird, hängt nicht nur von Technik und Marktpreisen ab. Sondern auch von der Frage, ob wir bereit sind, für Rohstoffe einen Preis zu zahlen, dessen Höhe noch gar nicht abschätzbar ist.
Kurzinfo: Tiefseebergbau in der Clarion-Clipperton-Zone
- Lage: Östlicher Pazifik, zwischen Mexiko und Hawaii
- Ziel: Abbau polymetallischer Knollen (Mangan, Nickel, Kobalt)
- Betreiber: The Metals Company (Kanada)
- Neue Studien zeigen: Vorkommen bedrohter Wale und Delfine in der Region
- Lärm kann über Hunderte Kilometer wirken (SOFAR-Kanal)
- Nur 35 Prozent der Arten wurden auf Lärmempfindlichkeit untersucht
- Risiken: Verhaltensstörungen, gestörte Kommunikation, Nahrungsnetze in Gefahr
- Forderung: Stopp kommerzieller Erkundung, bis Folgen geklärt sind
Originalpublikationen:
Kirsten Young et al.,
„Threatened cetaceans in a potential deep seabed mining region, Clarion Clipperton Zone, Eastern Pacific“
in: Frontiers in Marine Science (24-Jun-2025)
DOI: 10.3389/fmars.2025.1511075/abstract//
http://dx.doi.org/10.3389/fmars.2025.1511075/abstract
Rob Williams et al.,
“Noise from deep-sea mining in the Clarion-Clipperton Zone, Pacific Ocean will impact a broad range of marine taxa“,
in: Marine Pollution Bulletin
(Volume 218, September 2025, 118135)
DOI: 10.1016/j.marpolbul.2025.118135
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0025326X25006101
Über den Autor / die Autorin

- Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.
Letzte Beiträge
Verkehrswende23. Juli 2025Patent-Lösung: Schwedens CO₂-Steuer macht den Verkehr innovativer
Künstliche Intelligenz23. Juli 2025Mikrobiom im Blick: Neue Weizenzüchtung senkt Einsatz von Stickstoff-Dünger
Biologie22. Juli 2025Vom Himmel gefällt: Blitze zerstören jedes Jahr 320 Millionen Bäume
Klimawandel21. Juli 2025Arktik am Schmelzpunkt: Forscher berichten über beispiellose Erwärmung auf Spitzbergen
Schreibe einen Kommentar