Manchmal wird Reichtum obszön zur Schau gestellt, etwa bei der in Kürze anstehenden Hochzeit von Jeff Bezos in Venedig. Doch auch die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich an sich wird oft als moralisches Dilemma wahrgenommen – wie stark, das hängt allerdings von vielen Faktoren ab.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
In England heißt es: „Money doesn’t grow on trees“ – Geld wächst nicht auf Bäumen. In Persien sagt man hingegen: „Geld ist der Dreck auf der Handfläche“ – etwas, das man besser abwäscht, bevor es die Seele beschmutzt. Zwei Kulturen, zwei Perspektiven auf Reichtum. Und doch teilen sie eine Frage: Wann wird Geld nicht nur ein Mittel, sondern ein moralisches Problem?
Genau das wollten die Psychologen Jackson Trager und Mohammad Atari herausfinden. In einer internationalen Studie baten sie Menschen in 20 Ländern, ihre moralische Haltung gegenüber extremem Reichtum zu beurteilen – also die Vorstellung, „zu viel Geld“ zu besitzen. Was dabei als „zu viel“ gilt, blieb bewusst offen. Die Forscher interessierte nicht der Betrag, sondern das Bauchgefühl.
Reichtum ist nicht gleich Ungleichheit
Viele Menschen halten ökonomische Ungleichheit für falsch – das zeigen Umfragen seit Jahren. Doch Trager und Atari wollten genauer hinsehen: Ist nicht nur die Schieflage zwischen Arm und Reich problematisch, sondern auch das bloße Haben von sehr viel Geld? Oder anders gefragt: Ist Jeff Bezos unmoralisch, weil er so reich ist – selbst wenn er sein Vermögen „verdient“ hat?
Die Ergebnisse zeigen eine überraschende Differenzierung. Zwar lehnen viele weltweit ökonomische Ungleichheit ab. Doch extreme Vermögen werden weit weniger einhellig verurteilt. Im Durchschnitt lagen die Antworten global irgendwo zwischen „überhaupt nicht falsch“ und „mäßig falsch“. Aber es gibt große Unterschiede je nach Kultur, Alter und politischer Orientierung.
Wo Gleichheit herrscht, wächst Moral
Die moralisch schärfsten Urteile gegen Reichtum fanden sich in Ländern wie Russland, der Schweiz und Irland. Am wenigsten Anstoß nahmen Menschen in Peru, Argentinien und Mexiko.
„Menschen in Russland, der Schweiz und Irland äußerten die stärksten moralischen Einwände gegen übermäßigen Reichtum; Menschen in Peru, Argentinien und Mexiko äußerten die geringsten“, so die Forschenden
Ein auffälliger Zusammenhang: Je höher das Bruttoinlandsprodukt eines Landes, desto wahrscheinlicher war es, dass Menschen dort extremen Reichtum als moralisch problematisch betrachteten. „Nationen mit hohem BIP standen übermäßigem Reichtum moralisch kritischer gegenüber als Länder mit niedrigem BIP – möglicherweise, weil die negativen Folgen dort sichtbarer sind“, erklären die Autoren der Studie.
Geld macht nicht nur reich, sondern verdächtig
Dabei geht es nicht nur um Gerechtigkeit im klassischen Sinn. Ein zentraler Befund der Studie lautet: Viele verbinden großen Reichtum mit einem moralischen Makel – mit „Unreinheit“. Die Autoren sprechen von einer „psychologischen Wahrheit“ hinter dem Ausdruck „filthy rich“: „Der Zusammenhang zwischen Reinheit und der Verurteilung von Reichtum könnte damit zu tun haben, dass große Geldsummen und die damit verbundenen Möglichkeiten zur Selbstindulgenz als korrumpierend empfunden werden – sie verringern die spirituelle Reinheit.“
Reichtum, so die These, kann entmenschlichen. Wer alles kaufen kann, verliert das Maß, das Gefühl für andere, die Verbindung zum Gemeinwohl. Besonders junge Menschen und solche mit einem ausgeprägten Reinheitsbedürfnis bewerten dies kritisch – eine moralische Intuition, die in traditionellen Religionen und Philosophien verankert ist: Nichts im Übermaß.
Leistung zählt – aber nur bis zu einem Punkt
Auf der anderen Seite stehen Menschen, denen Leistung und Autorität besonders wichtig sind – und die es als gerecht empfinden, wenn Erfolg mit Vermögen belohnt wird. Wer sich anstrengt, darf auch reich sein – das ist die moralische Erzählung vieler liberaler Demokratien. Doch selbst hier kippt die Stimmung, wenn Reichtum als losgelöst von Arbeit, als selbstreferenzieller Überfluss erscheint.
Denn was ist gerecht: 100.000 Euro im Jahr? Zehn Millionen? Oder zehn Milliarden? Und ist der Unterschied zwischen diesen Summen wirklich noch Ausdruck von Talent – oder bloß das Ergebnis von Struktur, Erbe und Kapitalmacht?
Eine Frage des Blickwinkels
Trager und Atari liefern keine einfachen Antworten. Doch ihre Studie zeigt: Die moralische Bewertung von Reichtum ist keine objektive Rechnung, sondern ein Spiegel von Kultur, politischen Überzeugungen und psychologischen Bedürfnissen. Wer Gerechtigkeit vor allem als Gleichheit versteht, lehnt extreme Vermögen eher ab. Wer Gerechtigkeit mit Verdienst koppelt, hat weniger moralische Bedenken.
Und dann gibt es noch jene, für die Reichtum einfach schmutzig wirkt. Nicht, weil man ihn nicht gönnt. Sondern weil er – in der falschen Dosis – etwas Menschliches zerstört.
Kurzinfo: „The Immorality of Too Much Money“
- Erhebung in 20 Ländern, 4.351 Teilnehmer
- Leitfrage: Ist es moralisch falsch, zu viel Geld zu besitzen?
- Länder mit hohem BIP und geringerer Ungleichheit bewerten Überreichtum kritischer
- Jüngere Befragte, egalitär eingestellte und „Reinheit“ betonte Gruppen eher gegen Exzess
- Personen mit konservativer, leistungsorientierter Haltung sehen Überreichtum seltener kritisch
- Zentrale These: Extreme Vermögen wirken auf viele „moralisch verunreinigend“
Originalpublikation:
Jackson Trager & Mohammad Atari,
The Immorality of Too Much Money,
in: PsyArXiv
DOI: 10.1093/pnasnexus/pgaf158
Über den Autor / die Autorin

- Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.
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