Warum Frauen soziale Strukturen anders wahrnehmen – und Männer davon profitieren

Warum Frauen soziale Strukturen anders wahrnehmen – und Männer davon profitieren

Unterschiedliche Wahrnehmung, unterschiedlicher Erfolg: Frauen sind offenbar besser beim Networking in vertrauten Gruppen, während Männer dagegen Vorteile in informellen Beziehungsgeflechten haben.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


Im Büro, beim Kaffee mit Kolleginnen oder in der Projektgruppe: Netzwerke sind das unsichtbare Geflecht, das Karrieren trägt. Wer weiß, wer mit wem verbunden ist, erkennt Chancen, kann Brücken schlagen, Einfluss gewinnen. Doch neue Forschung zeigt: Frauen erinnern diese sozialen Strukturen genauer – verlieren ihren Vorteil aber ausgerechnet dort, wo Netzwerke für den Aufstieg entscheidend sind.

Präziser Blick in vertrauten Teams

Drei Studien mit insgesamt mehr als 10.000 Teilnehmenden lieferten ein konsistentes Muster. Frauen konnten sich präziser merken, wer in einem Team miteinander verbunden ist. Sie identifizierten verlässlich Freundschaften, Kooperationen und informelle Bindungen, insbesondere in kleinen, dichten Netzwerken wie vertrauten Arbeitsgruppen. Diese Beobachtung gilt nicht nur für Experimente, sondern auch für reale Datensätze, etwa das Beziehungsgeflecht von MBA-Studierenden.

Der Organisationsforscher Eric Quintane von der ESMT Berlin erklärt: „Frauen scheinen stärker auf ein mentales Schema der triadischen Schließung zurückzugreifen. Dabei wird eine Beziehung zwischen zwei Personen angenommen, wenn beide mit einer dritten Person verbunden sind“ . In stabilen Teams verbessert dieses Muster die Treffsicherheit erheblich.

Der Stolperstein der strukturellen Löcher

Anders sieht es aus, wenn Netzwerke unübersichtlicher werden. In abteilungsübergreifenden Projekten oder informellen Führungskreisen, wo sogenannte strukturelle Löcher entstehen, verschwindet der Vorsprung der Frauen. Gemeint sind Lücken in der Vernetzung: Einige Schlüsselpersonen verbinden viele andere miteinander, während die Mehrheit am Rand steht. Hier scheint die triadische Schließung in die Irre zu führen:

Die gedankliche Abkürzung verbessert die Treffsicherheit in dichten, vertrauten Teams, führt jedoch in locker verbundenen Netzwerken mit strukturellen Löchern zu Phantomverbindungen und lässt ihren Vorteil in genau diesen Kontexten verschwinden“, so Quintane. Mit anderen Worten: Wo Männer durch einzelne, aber strategische Verbindungen Zugang zu Entscheidungsträgern finden, sehen Frauen Strukturen, die es so gar nicht gibt.

Männer nutzen Chancen besser

Das hat unmittelbare Folgen für Karrieren. Gerade in höheren Positionen kommt es nicht auf das sichere Erkennen bestehender Verbindungen an, sondern auf die Fähigkeit, Lücken zu nutzen und Brücken zu schlagen. Männer scheinen sich in solchen offenen Geflechten leichter zu orientieren. Frauen dagegen verlieren ihren kognitiven Vorteil – und damit oft auch den Zugang zu den Schlüsselstellen.

Die Forschenden betonen, dass dies nicht auf ein Defizit hinausläuft, sondern auf unterschiedliche Wahrnehmungsmuster. Frauen lesen Netzwerke feiner, aber in dichten Mustern; Männer scheinen den Nutzen offener Strukturen besser auszuschöpfen.

Was Organisationen lernen können

Die Ergebnisse fordern Unternehmen heraus. Wer Gleichberechtigung ernst meint, muss berücksichtigen, dass Netzwerke unterschiedlich erinnert und genutzt werden. Mentoring-Programme, gezielte Vernetzung über Abteilungsgrenzen hinweg oder Trainings im Umgang mit offenen Netzwerken könnten helfen, Frauen gezielt zu stärken.

Für Organisationen gilt: Talente zu fördern bedeutet auch, ihre Wahrnehmungsmuster zu verstehen. Die Studie macht deutlich, dass Netzwerke keine neutralen Systeme sind – sie spiegeln und verstärken bestehende Unterschiede.

Mehr Bewusstsein für unsichtbare Barrieren

Am Ende stellt sich die Frage, warum Frauen trotz ihrer Präzision bei sozialen Verbindungen seltener an die Spitze gelangen. Die Antwort liegt nicht in einem Mangel an Kompetenz, sondern in der Art, wie Organisationen Macht verteilen. Die Forscherinnen und Forscher plädieren dafür, die Teamstrukturen bewusster zu gestalten, statt sie einfach wirken zu lassen.


Kurzinfo: Wie Frauen und Männer netzwerken

Teilnehmende: Über 10.000 Personen in drei Untersuchungen (USA, MBA-Studierende, Online-Experimente).

Kernbefund: Frauen erinnern Netzwerke präziser, Männer nutzen offene Strukturen effektiver.

Mechanismus: Frauen setzen stärker auf „triadische Schließung“ – Beziehungen werden angenommen, wenn zwei Personen über eine dritte verbunden sind.

Kontext: Vorteil in dichten, vertrauten Teams; Nachteil in Netzwerken mit strukturellen Löchern.

Folge: Männer sichern sich häufiger Schlüsselpositionen.

Implikation: Organisationen sollten Gleichberechtigung auch über Netzwerkzugänge gestalten.


Originalpublikation:
Eric Quintane et al.,
Gender, Network Recall, and Structural Holes
in: Personal Psychology,
DOI: 10.1111/peps.12691

Über den Autor / die Autorin

Arty Winner
Arty Winner
Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Proudly powered by WordPress