Die stille Krise: Warum Insekten wirklich verschwinden – und was wir dabei übersehen

Die stille Krise: Warum Insekten wirklich verschwinden – und was wir dabei übersehen

Ist die Wissenschaft Bienen- und Schmetterlingsfixiert? Unsere Beziehung zu diesen Insekten scheint jedenfalls die Wahrnehmung des Problems Insektensterben zu beeinflussen.

(Bild: Redaktion/GPT4o)


Sie summen, graben, bestäuben – und verschwinden. Weltweit schrumpfen Insektenpopulationen in rasantem Tempo. Die große Frage bleibt: Warum? Während die Landwirtschaft lange als Hauptverursacherin galt, legt eine neue Metastudie der Binghamton University in New York nun ein vielschichtigeres Bild vor. Mehr als 175 Fachartikel wurden ausgewertet, über 500 Hypothesen miteinander verknüpft. Das Ergebnis: Ein engmaschiges Geflecht aus rund 3.000 Faktoren, von Pestiziden über Lichtverschmutzung bis hin zu extremen Wetterereignissen.

Landwirtschaft bleibt Hauptverdächtige

„Die am häufigsten genannte Ursache war die Intensivierung der Landwirtschaft – durch Landnutzungswandel, Insektizide und Monokulturen“, erklärt Studienleiter Christopher Halsch. Doch statt einfacher Ursache-Wirkung-Beziehungen zeigt die Untersuchung ein komplexes System aus Rückkopplungen. So könne etwa der Klimawandel andere Treiber wie Feuer, Trockenheit oder invasive Arten verstärken. „Wir wollten herausfinden, welche Ideen in der Literatur wie miteinander verknüpft sind – und was als Wurzelproblem gilt“, so Halsch.

Was die Forschung übersieht

Doch die Studie offenbart nicht nur Zusammenhänge, sondern auch Leerstellen. Viele bekannte Bedrohungen für die Biodiversität tauchen in der Insektenforschung schlicht nicht auf. „Keine einzige der untersuchten Arbeiten erwähnt Naturkatastrophen“, sagt Eliza Grames, Co-Autorin und Biologin. Auch menschliche Störungen wie Krieg, Infrastrukturprojekte oder Tourismus würden kaum berücksichtigt. „Dabei wissen wir aus der allgemeinen Naturschutzforschung, dass solche Einflüsse erhebliche Auswirkungen haben können – auch auf Insekten.“

Die Tücken der Bienen-Fixierung

Hinzu kommt eine thematische Schlagseite: Bienen und Schmetterlinge stehen im Mittelpunkt, während der Großteil der Insektenwelt unbeachtet bleibt. „Weil sich so viel Forschung auf Bestäuber konzentriert, fehlen uns die Grundlagen, um andere Arten wirksam zu schützen“, so Grames. Der Grund: Popularität und wirtschaftliche Relevanz. „Bienen sind wichtig für die Landwirtschaft – also bekommen sie mehr Aufmerksamkeit und Forschungsgelder“, ergänzt Halsch. Dieses Ungleichgewicht führe dazu, dass Schutzmaßnahmen oft zu einseitig ausfielen.

Viel hilft nicht immer viel

Die Studienautorinnen und -autoren plädieren für eine differenziertere Sichtweise. Statt sich auf einzelne Ursachen oder „charismatische“ Arten zu konzentrieren, müsse man Insektenschutz als systemische Aufgabe begreifen. „Ein übermäßiger Fokus auf bestimmte Stressoren oder Tiergruppen kann anderen Arten sogar schaden“, warnt Halsch. Er fordert: mehr Breite in der Forschung, mehr Mechanismen statt Metaphern – und mehr Mut, auch das Unpopuläre zu untersuchen.


Insektensterben – was wir wissen sollten

  • Betroffene Gruppen: Weit über Bienen und Schmetterlinge hinaus
  • Haupttreiber laut Forschung: Landwirtschaftliche Intensivierung, Klimawandel, Pestizide
  • Wenig erforscht: Naturkatastrophen, menschliche Eingriffe, Verkehrsinfrastruktur
  • Forderung der Studie: Systemische, artenübergreifende Schutzstrategien
  • Forschungslücken: Konzentration auf „populäre“ Arten verzerrt das Gesamtbild
  • Konsequenz: Wirksamer Insektenschutz braucht breitere Perspektiven

Originalpublikation:
Halsch, C.A., Grames, E., et al. (2025): Metasynthesis reveals interconnections among apparent drivers of insect biodiversity loss. In: BioScience, 22. April 2025. DOI: 10.1093/biosci/biaf034


Über den Autor / die Autorin

Arty Winner
Arty Winner
Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.

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