Zukunft auf einer Schiene

Zukunft auf einer Schiene

Bisher werden stillgelegte Bahngleise höchstens als Touristenattraktion mit Draisinen befahren, dabei schlummert dort viel mehr Potential.

(Bild: F. Hüffelmann/HSBI )


Ein einzelnes Fahrzeug schwebt leise über ein überwuchertes Gleis, vorbei an Feldern und Fachwerkhäusern. Kein Lokführer, kein Lärm – dafür Klimaschutz auf Knopfdruck. Der futuristische Anblick könnte bald überall in Deutschland Alltag sein: mit dem MONOCAB, einem kreiselstabilisierten Einschienenfahrzeug, das den ländlichen Nahverkehr revolutionieren soll. Entwickelt wird es von einem Forschungsverbund um die Hochschule Bielefeld (HSBI) und die Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe (TH OWL).

Mobilität auf stillgelegten Gleisen

In Deutschland gibt es rund 6.000 Kilometer stillgelegter Bahntrassen – ein ungenutztes Netz, das in ländlichen Regionen neue Wege eröffnen könnte. Genau hier setzt MONOCAB an: Auf nur einer Schiene sollen kleine, autonome Fahrzeuge in beide Richtungen fahren können – ganz ohne neuen Gleisbau.

Das batterieelektrisch angetriebene, kreiselstabilisierte MONOCAB ermöglicht zukünftig den Einschienenbetrieb ‚on demand‘ auf stillgelegten Bahngleisen“, sagt Prof. Dr. Rolf Naumann, Projektleiter an der HSBI. Die Kabinen bieten Platz für bis zu sechs Personen, auch ein E-Rollstuhl oder Fahrrad findet darin Platz. Ziel ist ein Mix aus Individualverkehr und öffentlichem Nahverkehr – flexibel, klimafreundlich, platzsparend.

Technik, die die Balance hält

Der Clou: MONOCAB fährt stabil auf nur einer Schiene – möglich wird das durch zwei Spurkränze pro Rad und ein ausgeklügeltes Fahrwerk. Das Institut für Systemdynamik und Mechatronik (ISyM) der HSBI entwickelte hierfür spezielle Räder, die auch enge Kurven und Weichen meistern sollen.

Doch das stellt die Technik vor Herausforderungen. „Mit Hinblick auf die im MONOCAB verwendeten Doppelspurkranzräder stellt die Weichendurchfahrt eine große Herausforderung dar, da der äußere Spurkranz mit der abführenden Schiene kollidieren kann“, erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter Richard Petkau. Eine sichere Durchfahrt ist jedoch essenziell für den Alltagsbetrieb. Die Lösung? Noch in Entwicklung – aber sie kommt.

Leicht, stabil, sicher

Neben dem Fahrwerk ist auch der Fahrzeugrahmen ein zentrales Element. Er muss nicht nur die Technik tragen, sondern auch in Notfällen schützen. „Einerseits soll die Konstruktion so leicht wie möglich sein, andererseits muss das Fahrzeug auch sicher sein“, betont Prof. Naumann. Der Rahmen muss sich gegen Torsion und Verformung stemmen – und dabei aerodynamisch und ästhetisch bleiben.

Ein weiteres Schlüsselelement: die Kabine. Sie soll möglichst leicht sein, um den Schwerpunkt tief zu halten – wichtig für die Stabilisierung. Leichtbauspezialist Prof. Dr. Herbert Funke erläutert: „Die Gestaltung der Kabine prägt das Erscheinungsbild und ist gleichzeitig Sicherheitsstruktur für die Fahrgäste. Die Herausforderung ist, eine Materialkombination zu finden, die leicht, sicher und kostengünstig ist.

Drehung am Ziel

Weil es auf den alten Trassen keine Wendemöglichkeiten gibt, muss das MONOCAB am Streckenende rotieren. Dafür wird die Kabine angehoben, um 180 Grad gedreht und auf das andere Gleis gesetzt. Die Technik dafür entwickelt die HSBI gemeinsam mit dem Unternehmen Remmert.

Die Vorrichtung befindet sich in einem Schacht im Gleis. Hier wird die Kabine angehoben, umgedreht und umgesetzt“, erklärt der Entwickler Murat Ayvali. Eine scheinbar simple Idee – mit komplexem Innenleben.

Der Weg zur Alltagstauglichkeit

Noch ist das MONOCAB ein Forschungsprojekt. Doch erste Erprobungen auf einer Teststrecke in Extertal sind ab 2026 geplant. Im Jahr 2027 wird es Teil der Internationalen Gartenausstellung in Dortmund. Ab 2028 soll ein Testbetrieb im Kreis Lippe starten.

Das Ziel ist klar: eine neue Form des Personennahverkehrs, die Individualität, Nachhaltigkeit und bestehende Infrastruktur vereint. Ob das MONOCAB wirklich auf die Schiene des Erfolgs kommt, wird die Praxis zeigen. Die Weichen dafür sind jedenfalls gestellt.


Kurzinfo: MONOCAB auf einen Blick

  • Ziel: Autonomes Einschienenfahrzeug für den ländlichen Raum
  • Vorteil: Nutzung stillgelegter Bahnstrecken – rund 6.000 km in Deutschland verfügbar
  • Fahrzeug: Kabine für 6 Personen, stabilisiert durch Gyroskop, Spurhaltung durch zwei Spurkränze pro Rad
  • Fahrzeugtechnik: Leichtbauweise, niedriger Schwerpunkt, individuell gestaltbare Innenräume
  • Innovationen: Spurwechselvorrichtung, Weichenüberwindung, drehbare Kabinenenden
  • Partner: HSBI, TH OWL, Fraunhofer IOSB-INA, mit Förderung aus Landes- und Bundesmitteln
  • Erprobung: Teststrecke ab 2026, Ausstellung bei der IGA 2027, Testbetrieb ab 2028 in Lippe

Über den Autor / die Autorin

Arty Winner
Arty Winner
Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.

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