ChatGPT-ähnliche KI kartiert das Mäusehirn so exakt wie nie zuvor

ChatGPT-ähnliche KI kartiert das Mäusehirn so exakt wie nie zuvor

Die Grenze zwischen Biologie und Informatik löst sich zunehmend auf – KI-Modelle auf Transformer-Basis (GPT) haben daran einen wichtigen Anteil.

(Bild: University of California, San Francisco)


Die Gehirnforschung hat ein neues Werkzeug bekommen – und es spricht die Sprache der künstlichen Intelligenz. Forschende der University of California, San Francisco (UCSF), und des Allen Institute haben ein KI-Modell entwickelt, das dem Prinzip von ChatGPT ähnelt, aber statt Wörter neuronale Zellen analysiert. Das Ergebnis ist eine der präzisesten Gehirnkarten, die je für eine Maus erstellt wurden: rund 1.300 Regionen und Subregionen, viele davon bislang unbekannt.

Vom Globus zur Straßenkarte des Gehirns

Es ist, als würde man von einer Weltkarte mit Kontinenten und Ländern zu einer Karte wechseln, die Staaten und Städte zeigt“, sagte Bosiljka Tasic, Direktorin für Molekulargenetik am Allen Institute. Diese neue, detaillierte Aufteilung des Gehirns, die allein auf Daten und nicht auf menschlicher Annotation basiert, enthüllt bislang unkartierte Subregionen der Maus. Nach Jahrzehnten der Forschung, so Tasic, korrespondieren viele dieser neu identifizierten Bereiche mit spezialisierten Funktionen – die nun entdeckt werden können.

Die im Fachjournal Nature Communications veröffentlichte Studie markiert einen Wendepunkt für die Hirnforschung. Denn erstmals stammt die Zuordnung der Regionen nicht von anatomischen Experten, sondern von einem Modell, das allein aus Daten lernt, wie sich Zellen im Raum organisieren.

Das Prinzip der Nachbarschaft

Im Zentrum steht „CellTransformer“ – ein neuronales Netz, das die Forschenden eigens für diese Aufgabe entwickelt haben. Es analysiert sogenannte „spatial transcriptomics“-Daten, also Informationen darüber, wo bestimmte Zelltypen im Gehirn lokalisiert sind. Während frühere Ansätze nur die Arten von Zellen erfassten, zeichnet CellTransformer die Grenzen der Regionen nach – gewissermaßen die Stadtviertel des Gehirns.

„Unser Modell basiert auf derselben leistungsstarken Technologie wie KI-Tools à la ChatGPT“, erklärte Reza Abbasi-Asl, Professor für Neurologie und Bioengineering an der UCSF. Während Transformer-Modelle normalerweise die Beziehungen zwischen Wörtern in einem Satz analysieren, untersucht CellTransformer die Beziehungen zwischen benachbarten Zellen. Es lerne, die molekularen Merkmale einer Zelle anhand ihrer Umgebung zu erkennen – und daraus ein Gesamtbild der Gewebeorganisation zu konstruieren.

Unerwartete Entdeckungen im Mittelhirn

Dabei reproduziert das Modell nicht nur bekannte Strukturen wie den Hippocampus, sondern stößt auf bislang unbeschriebene Subregionen – etwa im sogenannten Mittelhirn-Retikulärkern, der eine komplexe Rolle bei Bewegungssteuerung spielt. Jede neu identifizierte Region könnte künftig Aufschluss über spezifische neuronale Prozesse geben, die mit Verhalten, Lernen oder Erkrankungen in Zusammenhang stehen.

Der Clou: Die Karte unterscheidet sich von bisherigen Modellen nicht nur in der Auflösung, sondern auch in der Methode. Statt sich auf anatomische Erfahrung zu stützen, basiert sie rein auf molekularen Daten. Das macht sie reproduzierbar und anpassbar – und damit ein potenzielles Standardwerkzeug für zukünftige Hirnforschung.

Der Maßstab des Allen Institute

Um sicherzugehen, dass die KI nicht nur Zufallsmuster erkennt, verglichen die Forschenden ihre Ergebnisse mit dem „Common Coordinate Framework“ (CCF) des Allen Institute – einem etablierten Referenzsystem für das Mausgehirn. „Durch den Vergleich konnten wir zeigen, dass unsere datengetriebene Methode Regionen identifiziert, die mit bekannten anatomischen Strukturen übereinstimmen“, sagte Alex Lee, Doktorand an der UCSF und Erstautor der Studie. Dass CellTransformer so stark mit dem CCF übereinstimmt, war für uns ein Vertrauensbeweis – und zeigt, dass auch die neuen Subregionen biologisch relevant sein könnten.

Mehr als nur ein Gehirnprojekt

Die Forschenden sehen in CellTransformer weit mehr als ein Werkzeug für die Neurowissenschaft. Weil das Modell nicht auf das Gehirn beschränkt ist, lässt es sich auch auf andere Gewebe anwenden – etwa auf Krebszellen. Große Datensätze räumlicher Genexpression könnten so helfen, Tumoren feiner zu charakterisieren oder neue Therapieansätze zu entwickeln.


Kurzinfo: CellTransformer und das Mausgehirn-Projekt

  • Entwickelt von UCSF und Allen Institute
  • KI-Modell basiert auf Transformer-Architektur (wie ChatGPT)
  • Analysiert räumliche Genexpressionsdaten (spatial transcriptomics)
  • Identifiziert über 1.300 Regionen und Subregionen im Mausgehirn
  • Deckt neue, bisher unbeschriebene Areale auf
  • Ergebnisse mit dem Common Coordinate Framework (CCF) validiert
  • Publiziert in Nature Communications, Oktober 2025
  • Potenzial für Anwendungen in anderen Organen, etwa Tumorgewebe
  • Nächster Schritt: experimentelle Bestätigung der neuen Regionen

Originalpublikation:
Originalpublikation:

Bosiljka Tasic et al.,

Data-driven fine-grained region discovery in the mouse brain with transformers,

in: Nature Communications (7-Oct-2025 )

DOI: 10.1038/s41467-025-64259-4//

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Proudly powered by WordPress