Die eigentliche Herausforderung bei dieser neuen Methode: die Mikroben müssen nicht nur den Druckprozess per Inkjet-Printer bestehen, sondern auch an der Fassade dauerhaft überleben.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
Die graue Betonwand bekommt Konkurrenz – von lebenden Farben, die atmen, reinigen und heilen. Was ein bisschen klingt wie esoterische Science-Fiction, ist Gegenstand aktueller Forschung: Unter dem Projektnamen REMEDY entwickeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Spezialtinte, die Mikroorganismen enthält und auf Gebäudefassaden aufgetragen werden kann. Ziel ist eine nachhaltige Architektur, in der Wände nicht mehr nur trennen, sondern aktiv zum Umweltschutz beitragen.
Mikroben mit Mission
In der Tinte leben Pilze, Algen und andere Mikroorganismen, die künftig einen ökologischen Mehrwert liefern sollen. Sie filtern Schadstoffe aus der Luft, binden Kohlendioxid und können feine Risse in der Oberfläche selbstständig reparieren. Unterstützt wird das auf vier Jahre angelegte Projekt vom European Innovation Council mit knapp drei Millionen Euro. „Das ist ein sehr großes Potenzial, das wir nutzen sollten. Mikrobiologische Lebensgemeinschaften auf Dächern und Fassaden könnten zahlreiche Funktionen übernehmen, ohne dabei knappe, unbebaute Flächen zu beanspruchen“, erklärt Carole Planchette vom Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung der TU Graz, die das Projekt technisch mitbetreut.
Bio-Tinte für diverse Materialien
Die eigentliche Innovation liegt in der Verbindung von Biologie und Drucktechnik. Denn die Mikroorganismen müssen nicht nur überleben, sondern auch druckbar sein. Dafür entwickelt Planchette gemeinsam mit Partnern wie dem Inkjet-Hersteller Qres Technologies und dem Beschichtungsspezialisten Tiger Coatings eine bioaktive Tinte, die sich präzise auf verschiedene Materialien wie Beton, Metall oder Holz aufbringen lässt.
„Wir haben uns für den Inkjet-Druck entschieden, weil wir damit die lebende Tinte sehr präzise, kontrolliert und schnell zugleich auftragen können“, sagt Planchette. Die Herausforderung: Mikroorganismen sind oft zu groß oder verklumpen, was die feinen Düsen klassischer Drucker verstopfen kann.
Biodiversität an der Wand
Neben der technischen Umsetzung steht die biologische Seite im Fokus. Nina Gunde-Cimerman, Mikrobiologin an der Universität Ljubljana, testet geeignete Mikrobenkombinationen. Ziel ist ein robustes „Gebäudemikrobiom“, das gegen äußere Einflüsse resistent ist und sich langfristig selbst erhält.
„Das Ziel ist ein nützliches Mikrobiom für Gebäude, das widerstandsfähig gegen schädliche Mikroben ist und oberflächliche Risse selbstständig repariert“, so Planchette weiter. Die Vision: nicht nur funktional, sondern auch gestalterisch relevante Lösungen zu schaffen.
Doppelt wirksames Design
Denn die lebenden Tattoos sollen nicht nur reinigen, sondern auch schön sein. Projektkoordinatorin Anna Sandak vom slowenischen Forschungsinstitut InnoRenew CoE betont die Möglichkeiten für individuelle Architektur: „Mit geeigneten Biofabrikationsverfahren soll dann ein personalisiertes Design in der Architektur möglich werden“, erklärt Sandak. Durch gezielte Muster und Kombinationen könnten Gebäude also künftig nicht nur ökologisch, sondern auch ästhetisch belebt werden.
Wandel als Herausforderung
Was vielversprechend klingt, ist in der Praxis komplex. Biologische Systeme sind instabil, ihre Reaktion auf Witterung, UV-Licht oder Luftverschmutzung schwer kalkulierbar. Die größte Hürde: der serielle Einsatz in Massenproduktion. „Ich rechne auch damit, dass wir passende Mikroorganismen finden, die in der Tinte und unter dem Stress des Druckvorgangs überleben“, sagt Planchette. „Die größte Herausforderung wird es sein, diesen Prozess vollständig reproduzierbar zu gestalten. Denn lebende Tinten für industrielle Prozesse wie den Tintenstrahldruck zu verwenden, ist absolutes Neuland.“ Noch ist das Projekt im Entwicklungsstadium. Doch angesichts von 9,4 Milliarden Quadratmetern renovierungsbedürftiger Fassaden in Europa bietet sich eine riesige Fläche zum Umdenken. Die Architektur der Zukunft könnte bioaktiv sein – lebendig, atmend und vielleicht sogar mit eigener Haut.
„Gebäudetattoos“ im Überblick
- Projektname: REMEDY (REsilient biofilms for sustainable Materials design)
- Ziel: Entwicklung lebender Tinten für Fassaden mit Mikroorganismen
- Funktionen:
- Filtern von Schadstoffen
- Binden von CO₂
- Selbstreparatur kleiner Schäden
- Technologie: Inkjet-Druck mit modifizierter Drucktechnik
- Herausforderungen:
- Überlebensfähigkeit der Mikroben im Druckprozess
- Reproduzierbarkeit
- Langfristige Stabilität unter Umweltbedingungen
- Potenzial: 9,4 Mrd. m² sanierungsfähige Flächen in der EU bis 2050
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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