Pilze als Baustoff der Zukunft

Pilze als Baustoff der Zukunft

Forschende der Binghamton University untersuchen die Zellstruktur von Pilzfäden, um bessere Baustoffe zu entwickeln.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


Zwischen Komposthaufen und Waldboden wachsen unscheinbare Wunderwerke: Pilze. Was nach einem Abendessen aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als architektonische Meisterleistung – denn unter der Erde bestehen die Gewächse aus einem komplexen Netzwerk aus Pilzfäden. Jetzt wollen Forschende diese Strukturen in die Materialwissenschaft überführen – mit potenziellen Auswirkungen auf Luftfahrt, Bauindustrie und Design.

Ein Team der Binghamton University in New York hat gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der University of California – Merced untersucht, wie die winzigen Zellfäden, sogenannte Hyphen, sich unter mechanischer Belastung verhalten – und wie man daraus belastbare Materialien entwickeln könnte.

Myzel – ein Netzwerk mit Widerstandskraft

Im Fokus der Studie standen zwei Speisepilze: der weiße Champignon (Agaricus bisporus) und der „tanzende Pilz“ Maitake (Grifola frondosa). Der eine wächst chaotisch, der andere in bevorzugte Richtungen – zum Beispiel hin zum Licht oder zur Feuchtigkeit. Was beide gemeinsam haben: Ihre Zellfäden verknüpfen sich zu dichten Netzwerken, die sich bei Druck, Zug oder Biegung unterschiedlich verhalten.

Mit Hilfe eines Rasterelektronenmikroskops analysierte das Team die Zellstruktur dieser Hyphen. Anschließend berechneten sie die Belastbarkeit. Ziel war es, ein computergestütztes Modell zu erstellen, das die mechanischen Eigenschaften anhand der Struktur vorhersagen kann. „Der erste Schritt besteht darin, ein Finite-Elemente-Modell zu entwickeln – also ein rechnerisches Rahmenwerk, das mechanische Eigenschaften analysieren kann. Das bildet die Grundlage für die nächste Phase„, erklärt Erstautor Mohamed Khalil Elhachimi von der Binghamton University.

Künstliche Intelligenz trifft auf Biologie

Doch es bleibt nicht bei der Nachbildung. Die Forschenden wollen weiter gehen – zur sogenannten inversen Gestaltung: Dabei wird nicht nur simuliert, wie sich eine bestimmte Struktur verhält. Stattdessen definiert man zunächst die gewünschte Eigenschaft, und eine Künstliche Intelligenz schlägt anschließend die passende Struktur vor. „Wir haben ein Modell, das das mechanische Verhalten anhand der Struktur vorhersagt. Und in der letzten Phase, dem inversen Design, geben wir die gewünschte Eigenschaft vor, und das KI-Modell sagt uns, welche Struktur sie erfüllt“, so Elhachimi.

Wie leistungsfähig moderne KI bei diesem Prozess ist, betont Projektleiter Mir Jalil Razavi:
Solches inverses Design ist nur mit Deep-Learning-Modellen möglich – etwa um zehntausend Hyphen samt Lage und Ausrichtung zu berechnen. Das kann nur KI, sobald wir genug Simulationsdaten haben, um das Modell zu trainieren.

3D-Druck als Realitätscheck

Die nächsten Schritte sind bereits geplant: Mit 3D-Druck sollen Materialprototypen hergestellt werden, deren innere Struktur dem KI-Vorschlag entspricht. Danach folgt der Belastungstest. Stimmen Vorhersage und Realität überein, ließe sich das Verfahren auf verschiedene Branchen übertragen – etwa in der Luft- und Raumfahrt, wo Material leicht und zugleich stabil sein muss.

Auch im Bauwesen könnten solche biologisch inspirierten Designs eine Rolle spielen, etwa für nachhaltige Dämmstoffe oder tragende Elemente. Langfristig könnten Myzel-basierte Strukturen sogar konventionelle Kunststoffe ersetzen – ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft.

Lernen von der Natur

Dass die Forschung an biologischen Vorbildern erst am Anfang steht, macht Razavi deutlich:
Es gibt noch so viel, das wir von der Natur lernen können“, sagt er. „Wir stehen mit dieser Art von Forschung gerade erst am Anfang.

Tatsächlich könnte das mikroskopische Geflecht ein Schlüssel für neue Materialgenerationen werden. Denn die Evolution hat über Millionen Jahre an diesen Strukturen gefeilt – nun beginnt die Wissenschaft, sie zu entschlüsseln.

Die Erkenntnisse könnten damit nicht nur in Hightech-Produkten landen, sondern auch das Verhältnis zwischen Technik und Natur neu definieren. Vielleicht wächst die nächste Materialrevolution ja gerade unbemerkt im Schatten eines Baumes.


Pilze als Materialvorbilder

  • Projektleitung: Binghamton University, NY; Kooperation mit University of California – Merced
  • Ziel: Entwicklung neuer Materialien durch Analyse von Pilzstrukturen
  • Methode: Elektronenmikroskopie, Finite-Elemente-Modellierung, KI-gestützte inverse Designverfahren
  • Hyphen-Strukturen: Filigrane Zellfäden, die sich verzweigen und verdrehen
  • Anwendungsfelder: Bauindustrie, Luft- und Raumfahrt, nachhaltige Materialien
  • Nächste Schritte: 3D-Druck von Materialprototypen, Belastungstests
  • Zukunftsperspektive: KI und Myzel als Basis für bioinspirierte Werkstoffe

Originalpublikation:
Mohamed Khalil,
Mushrooms could be the key to developing better materials,
in: Advanced Engineering Materials
(17-Mar-2025)

DOI: 10.1002/adem.202402949// http://dx.doi.org/10.1002/adem.202402949

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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