Einfach und genial: Das schwammartige, per 3D-Drucker hergestellte Material saugt Meerwasser auf und lässt es verdunsten, das Salz bleibt zurück, das Kondenswasser kann als Trinkwasser genutzt werden.
(Bild: ACS Energy Letters 2025, DOI: 10.1021/acsenergylett.5c01233)
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Wenn das Trinkwasser knapp wird, blicken viele Menschen hoffnungsvoll aufs Meer. Doch um das salzige Nass in trinkbare Süßwasserqualität zu bringen, braucht es bislang große Anlagen und noch größere Mengen Energie. Forschende der Hong Kong Polytechnic University haben nun eine verblüffend einfache Lösung entwickelt: ein schwammartiges Material, das mit Sonnenkraft arbeitet – ganz ohne Stromanschluss.
Verdunstung mit Mikroporen optimiert
Die Grundidee ist so alt wie die Solardestillation selbst: Sonnenlicht trifft auf eine Oberfläche, Wasser verdunstet, Salz bleibt zurück – und das kondensierte Destillat kann aufgefangen werden. Doch herkömmliche solarthermische Verdampfer haben ein Problem: Je größer sie werden, desto schlechter funktioniert die Verdunstung. Das liegt an einer physikalischen Hürde – der sogenannten Grenzschicht, die bei größeren Flächen den Dampfaustausch behindert.
Hier kommt das neuartige Aerogel ins Spiel. Es besteht aus Zellulose-Nanofasern und Kohlenstoffnanoröhrchen, die mit einer Art 3D-Druck auf eine gefrorene Fläche aufgetragen wurden. So entsteht ein Material mit senkrechten Mikroporen von etwa 20 Mikrometern Durchmesser – dadurch vergrößert sich die Oberfläche um ein vielfaches, und gleichzeitig kann der Wasserdampf ungehindert entweichen.
Klein, groß – egal: die Leistung bleibt stabil
Das Besondere an dem Material: Seine Leistung ist unabhängig von der Größe. Das ist bei solarbetriebenen Verdampfern eine kleine Sensation. „Unser Aerogel erlaubt eine Entsalzung mit voller Kapazität, unabhängig von der Größe“, sagt Materialforscher Xi Shen von der Hong Kong Polytechnic University, der die Studie leitete. „Das ist eine einfache, skalierbare Lösung für energiefreie Entsalzung, um sauberes Wasser zu erzeugen.“
Getestet wurde das System unter realen Bedingungen. In einem Freiluftversuch platzierten die Forschenden ein Stück des Aerogels in ein mit Meerwasser gefülltes Gefäß. Darüber: eine transparente, gewölbte Kunststoffabdeckung. Sonnenlicht erhitzte die Oberfläche des Aerogels – und ließ Wasserdampf aufsteigen, der an der Innenfläche der Abdeckung kondensierte. Das frische Wasser floss anschließend über eine Rinne in einen Sammelbehälter.
Drei Esslöffel Hoffnung
Nach sechs Stunden unter natürlichem Sonnenlicht lieferte das System etwa drei Esslöffel Trinkwasser. Klingt nach wenig – aber das war nur ein Prototyp. Entscheidend ist, dass das Verfahren mit vergleichsweise einfachen Mitteln auskommt und sich problemlos vergrößern lässt. In einer Notsituation oder in Gegenden ohne Stromnetz könnten solche Module künftig lebensrettend sein – und dabei ressourcenschonend arbeiten.
Zudem liegt der Wirkungsgrad bei über 80 Prozent, wie die Forschenden im Fachjournal ACS Energy Letters berichten. Und während konventionelle Verdampfer bei zunehmender Größe mehr als 40 Prozent an Effizienz einbüßen, bleibt die Leistung des Aerogels nahezu stabil – mit einem Einbruch von unter fünf Prozent.
Zwischen Hightech und Hausgebrauch
Zwar ist das Material technisch hochentwickelt – seine Anwendung könnte aber erstaunlich niedrigschwellig sein. Die Kombination aus Aerogel, Sonnenlicht und Kunststoffabdeckung ist denkbar einfach, wartungsarm und potenziell günstig herzustellen. Damit ist das Verfahren auch dort realistisch, wo klassische Meerwasserentsalzung an Infrastrukturlücken scheitert: auf abgelegenen Inseln, in Küstenregionen mit Dürreproblemen oder in humanitären Krisensituationen.
Gleichzeitig liefert die Entwicklung neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Denn die Forschenden konnten zeigen, dass sich die problematische Verdunstungsschranke technisch überwinden lässt – wenn man die Struktur des Materials gezielt beeinflusst.
Ein Schwamm mit Zukunft
Natürlich steht das Projekt noch am Anfang. Bis aus dem Labormodell ein marktfähiges Produkt wird, dürften noch einige Hürden zu nehmen sein – etwa bei der Haltbarkeit, der Produktion in größerem Maßstab oder der Integration in bestehende Wasserversorgungssysteme.
Doch der Impuls ist da: ein skalierbarer, energieunabhängiger Weg zu sauberem Wasser – aus dem, was unser Planet im Überfluss bietet: Sonnenlicht und Meer.
Kurzinfo: Entsalzung mit Aerogel – auf einen Blick
- Was wurde entwickelt?
Ein neuartiges Aerogel aus Kohlenstoffnanoröhrchen und Zellulosefasern, das salzhaltiges Wasser mit Sonnenlicht in Trinkwasser verwandeln kann. - Wie funktioniert es?
Sonnenlicht erhitzt die poröse Struktur, Wasser verdampft, Salz bleibt zurück. Der Dampf kondensiert an einer Kunststoffabdeckung und wird aufgefangen. - Was ist neu?
Die Leistung bleibt konstant, auch bei größeren Modulen – ein Durchbruch für die Skalierbarkeit solarthermischer Verdampfer. - Für wen ist das interessant?
Regionen ohne Stromnetz, humanitäre Einsätze, Küstengebiete mit Trinkwasserknappheit. - Wieviel Wasser produziert der Prototyp?
Etwa drei Esslöffel in sechs Stunden – bei voller Sonne. Skalierbarkeit wurde nachgewiesen.
Originalpublikation:
„Size-Insensitive Vapor Diffusion Enabled by Additive Freeze-Printed Aerogels for Scalable Desalination“,
in: ACS Energy Letters (2. Juli 2025)
DOI: 10.1021/acsenergylett.5c01233
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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