Gefährliche Scheinlösungen: Polarforscher warnen vor Geoengineering

Gefährliche Scheinlösungen: Polarforscher warnen vor Geoengineering

Auch keine probable Methode: Das Abschmelzen von Gletschern wird sich mit Isolierfolien nicht maßgeblich aufhalten lassen.

(Bild: PiPaPu)


Ein frostiger Rettungsplan, der ins Gegenteil umschlagen könnte: Fünf technische Großprojekte für Arktis und Antarktis – von künstlichen Seevorhängen bis hin zu Schwefelpartikeln in der Stratosphäre – sollen die Eisschilde vor dem Abschmelzen bewahren. Doch was spektakulär klingt, ist nach Ansicht führender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weder praktikabel noch harmlos. Eine neue Untersuchung in Frontiers in Science zeigt: Die Konzepte sind teuer, riskant und könnten vom eigentlichen Ziel ablenken – der drastischen Verringerung von Treibhausgasen.

Teure Versprechen ohne Beweise

Die Expertinnen und Experten prüften die fünf am stärksten diskutierten Geoengineering-Ideen: Stratosphärische Aerosole, schwimmende Barrieren im Meer, künstliche Eisdickung, das Abpumpen von Schmelzwasser unter Gletschern sowie die Düngung der Ozeane mit Eisen. Das Urteil ist ernüchternd: Keine Methode ist ausreichend getestet, keine kurzfristig einsatzbereit, und alle bergen erhebliche Nebenwirkungen.

Schon die Kosten schrecken ab: Mindestens zehn Milliarden Dollar für Aufbau und Wartung, im Falle von Seevorhängen sogar bis zu 80 Milliarden über zehn Jahre – für ein einziges Bauwerk von 80 Kilometern Länge. Logistik und harsche Bedingungen in den Polarregionen ließen die Ausgaben noch weiter steigen.

Risiken für Ökosysteme und Politik

Neben den finanziellen Hürden sehen die Forschenden gravierende ökologische Gefahren. Aerosole könnten das Ozonloch vergrößern und globale Wettermuster verschieben. Glaspartikel auf Meereis könnten dieses verdunkeln statt aufhellen. Meerbarrieren gefährden Zugrouten von Walen und Robben. Und Ozeandüngung birgt unkalkulierbare Folgen für marine Nahrungsketten.

Auch juristisch wäre keines der Projekte sauber geregelt. Während das Antarktis-Abkommen oder UN-Seerechtsvorschriften einzelne Verfahren betreffen, fehlen für zentrale Vorhaben wie stratosphärische Aerosole internationale Regeln. Politische Konflikte wären programmiert.

Diese Ideen sind oft gut gemeint, aber sie sind fehlerhaft. Der Einsatz würde eher gegen die Polarregionen und unseren Planeten wirken“, warnt der Hauptautor Prof. Martin Siegert von der University of Exeter.

Ablenkung vom Wesentlichen

Die Kritik der Forschenden richtet sich weniger gegen das Denken in Szenarien, sondern gegen die Gefahr der Ablenkung. Wer Milliarden in riskante Großexperimente steckt, könnte den Druck auf Politik und Wirtschaft mindern, Emissionen zu reduzieren. Doch nur dort liegt der Schlüssel.

Wenn wir unsere begrenzten Ressourcen auf die Ursachen richten statt auf die Symptome, haben wir eine realistische Chance, bis 2050 Netto-Null zu erreichen“, sagt Mitautorin Dr. Heidi Sevestre vom Arctic Monitoring and Assessment Programme.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnen, dass Geoengineering-Projekte leicht jenen Kräften in die Hände spielen könnten, die ohnehin bremsen wollen. Versprechen, damit zugleich Rechte indigener Völker zu schützen, seien irreführend.

Geteilte Forschung, verlorene Zeit

Die Forschergruppe räumt ein, dass weitere Untersuchungen nötig sind, um Risiken und Nutzen besser zu verstehen. Doch solange die Zeit drängt, sei eine Spaltung von Ressourcen problematisch.

Unsere Zeit, unser Geld und unsere Expertise sind zwischen belegten Netto-Null-Maßnahmen und spekulativen Geoengineering-Projekten aufgespalten“, betont Siegert. „Wir hoffen, Emissionen bis 2050 tatsächlich eliminieren zu können – wenn wir unsere Kräfte bündeln.

Dass sofortige Emissionsreduktionen wirken, ist wissenschaftlich gesichert: Erreicht die Welt Netto-Null, stabilisieren sich die Temperaturen innerhalb von rund 20 Jahren. Dann hören sie auf zu steigen – ein Gewinn für Eisschilde, Ozeane und Menschheit.

Der falsche Weg nach vorn

Die Autorinnen und Autoren fassen zusammen: Anstatt spekulative Milliardenprojekte in den Polarregionen anzuschieben, sollte die Politik jetzt konsequent auf Dekarbonisierung setzen. Denn nur so lässt sich die globale Erwärmung stoppen, ohne neue Risiken zu schaffen. Oder, wie es Dr. Sevestre ausdrückt: „Es ist entscheidend, dass wir sofortige, evidenzbasierte Klimamaßnahmen nicht durch unbewiesene Methoden ersetzen. Nur bewährte Strategien helfen uns wirklich weiter.


Kurzinfo: Fünf riskante Geoengineering-Ideen für die Polarregionen

  • Stratosphärische Aerosole: Schwefelpartikel reflektieren Sonnenlicht, Risiko für Ozon und Klima
  • Seevorhänge: schwimmende Barrieren gegen warmes Wasser, teuer und ökologisch heikel
  • Künstliche Eisdickung: Wasserpumpen oder Glaspartikel, kaum getestet, potenziell schädlich
  • Schmelzwasser-Abpumpen: technische Mammutaufgabe, Gefahr für subglaziale Ökosysteme
  • Ozeandüngung mit Eisen: unklare Effekte auf Nahrungsketten und Chemie der Meere
  • Kostenrahmen: mindestens 10 Milliarden US-Dollar je Projekt
  • Politisch ungeregelt: kaum internationale Abkommen für Umsetzung
  • Gefahr: lenkt von Emissionssenkungen ab
  • Hauptautoren: Prof. Martin Siegert (University of Exeter), Dr. Heidi Sevestre (AMAP)
  • Fazit: Nur schnelle Dekarbonisierung schützt Polargebiete langfristig

Originalpublikation:

Über den Autor / die Autorin

Arty Winner
Arty Winner
Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.

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