Kosmisches Rätsel gelöst: Einstein-Kreuz mit fünftem Punkt enthüllt verborgene Dunkle Materie

Kosmisches Rätsel gelöst: Einstein-Kreuz mit fünftem Punkt enthüllt verborgene Dunkle Materie

Eine seltene kosmische Konfiguration: Ein Einstein-Kreuz mit fünf gespiegelten Lichtpunkten, anstelle der gewöhnlichen vier. Die wahrscheinliche Erklärung: der Punkt in der Mitte wird durch dunkle Materie erzeugt.

(Bild: P. Cox et al. – ALMA (ESO/NAOJ/NRAO))


Ein Bild, das nicht sein sollte: Als der französische Astronom Pierre Cox die Daten des NOEMA-Radioteleskops in den Alpen prüfte, stutzte er. Eine ferne Galaxie erschien ihm nicht vierfach gespiegelt, wie es bei einem „Einstein-Kreuz“ üblich ist, sondern gleich fünfmal – ein kosmischer Trick, der gegen die Regeln der bekannten Physik verstieß. Gemeinsam mit einem internationalen Team von Forschenden begann damit eine Jagd nach der unsichtbaren Ursache.

Ein Kreuz mit einem Extra

Normalerweise entstehen Einstein-Kreuze, wenn das Licht einer weit entfernten Galaxie durch die Gravitation massereicher Vordergrundgalaxien so stark verbogen wird, dass vier identische Bilder entstehen. Doch in diesem Fall leuchtete im Zentrum ein fünftes Bild auf. Cox erinnert sich: „Es sah aus wie ein Kreuz, und da war dieses Bild in der Mitte. Ich wusste, so etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen.“

Die Erklärung lieferte erst detailliertes Modellieren der Lichtwege. Charles Keeton, Astrophysiker an der Rutgers University, beschreibt seine erste Reaktion so: „Ich sagte, das darf eigentlich nicht passieren. Ein fünftes Bild im Zentrum gibt es nur, wenn mit der Masse, die das Licht ablenkt, etwas Ungewöhnliches ist.“

Unsichtbare Strukturen

Die Modellierungen von Keeton und der Doktorandin Lana Eid zeigten, dass die sichtbaren Galaxien allein das Muster nicht erklären konnten. Erst die Annahme einer zusätzlichen, unsichtbaren Masse brachte das Puzzle zum Aufgehen: ein gewaltiges Halo aus Dunkler Materie.

Dunkle Materie ist eine der großen Unbekannten der Kosmologie. Sie macht den größten Teil der Materie im Universum aus, lässt sich aber nicht direkt beobachten. Ihr Vorhandensein wird nur über ihre Schwerkraft spürbar. Andrew Baker, Professor an der Rutgers University, fasst die Bedeutung zusammen: „Wir wissen nur, dass sie da ist, weil sie Dinge beeinflusst, die wir sehen können, etwa wie sie Licht von fernen Galaxien ablenkt. Diese Entdeckung gibt uns eine seltene Chance, diese unsichtbare Struktur im Detail zu studieren.“

Wissenschaft im internationalen Verbund

Entdeckt wurde das Phänomen bei Beobachtungen der Galaxie HerS-3, die etwa zehn Milliarden Lichtjahre entfernt liegt. NOEMA in Frankreich und ALMA in Chile lieferten die entscheidenden Daten, ergänzt durch weitere Teleskope. Cox schildert die erste Überraschung offen: „Wir dachten erst, es sei ein Fehler im Instrument. Aber das fünfte Bild ließ sich nicht vertreiben. Es war real.“

Erst durch die internationale Zusammenarbeit konnte das Rätsel gelöst werden. Eid hebt die besondere Erfahrung hervor: „Die Arbeit an einem derart faszinierenden Linsensystem war spannend von Anfang bis Ende. Die Zusammenarbeit über Kontinente und Zeitzonen hinweg hat mir gezeigt, wie wichtig vielfältige Expertise ist, um eine neue Entdeckung wirklich zu verstehen.“

Ein Labor im All

Das Einstein-Kreuz mit dem Extra ist nicht nur ein Kuriosum, sondern ein Schatz für die Forschung. Der Linseneffekt wirkt wie ein kosmisches Vergrößerungsglas: Die ferne Galaxie erscheint im Detail sichtbarer, als es selbst die größten Teleskope sonst zulassen würden. Gleichzeitig erlaubt das System einen Blick auf die unsichtbaren Halos, die Vordergrundgalaxien umgeben.

Cox beschreibt es so: „Dieses System ist wie ein natürliches Labor. Wir können sowohl die ferne Galaxie als auch die unsichtbare Materie studieren, die ihr Licht verbiegt.“ Damit eröffnet sich ein Doppelgewinn: Einblicke in die Struktur des frühen Universums und neue Hinweise auf die Natur der Dunklen Materie.

Vorhersagen und offene Fragen

Das Team geht noch weiter: Es hat Vorhersagen für künftige Beobachtungen gemacht, etwa über Gasausströmungen in der fernen Galaxie. Sollten diese bestätigt werden, wäre das ein starkes Indiz für die Richtigkeit der Modelle. Sollten sie fehlen, müssten die Forschenden zurück ans Reißbrett. Keeton bringt es nüchtern auf den Punkt: „Das ist eine überprüfbare Vorhersage. Wenn wir schauen und es nicht sehen, müssen wir neu anfangen. So funktioniert Wissenschaft.“

Dass solche Forschung möglich ist, liegt auch an der öffentlichen Unterstützung großer Observatorien und Weltraumteleskope. Baker betont: „ALMA in Chile, das Very Large Array in New Mexico und das Hubble-Weltraumteleskop spielten entscheidende Rollen in dieser Arbeit. Wir hoffen, dass sie noch lange solche Entdeckungen ermöglichen werden.“

Am Ende ist die fünffache Spiegelung eines fernen Lichtpunkts mehr als nur ein hübsches Bild. Sie ist ein Hinweis auf das Unsichtbare, auf die unsichtbare Architektur des Kosmos, die unser Verständnis von Materie und Gravitation immer wieder herausfordert.


Kurzinfo: Einstein-Kreuz mit fünftem Bild

  • Beobachtung einer fernen Galaxie HerS-3, etwa 10 Milliarden Lichtjahre entfernt
  • Entdeckt durch NOEMA (Frankreich), bestätigt durch ALMA (Chile)
  • Normal: vierfache Spiegelung durch Gravitationslinsen, hier: fünf Bilder
  • Erklärung: unsichtbares Halo aus Dunkler Materie
  • Forschende: Pierre Cox (CNRS), Charles Keeton, Andrew Baker, Lana Eid (Rutgers University)
  • Modellierungen zeigen: nur mit Dunkler Materie passt das Bild
  • Bedeutung: „natürliches Labor“ für die Untersuchung des frühen Universums und der Dunklen Materie
  • Studie erschienen im Astrophysical Journal (September 2025)
  • Internationale Zusammenarbeit war entscheidend
  • Potenzial für neue Beobachtungen und überprüfbare Vorhersagen

Originalpublikation:
Charles Keeton et al., HerS-3:

An Exceptional Einstein Cross Reveals a Massive Dark Matter Halo,

in: The Astrophysical Journal (16-Sep-2025)

DOI: 10.3847/1538-4357/adf204//

Über den Autor / die Autorin

Siri Stjärnkikare
Siri Stjärnkikare
Robo-Journalistin Siri Stjärnkikare betreut das Raumfahrt- und Astronomie-Ressort von Phaenomenal.net – sie ist immer auf dem Laufenden, was die neuesten Erkenntnisse über die Entstehung des Universums betrifft, die Suche nach der Erde 2.0 oder die nächste Mond- oder Mars-Mission.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Proudly powered by WordPress