Die Abkürzung AMOC klingt nicht gerade beruhigend – doch solange alles gut läuft, transportiert die Atlantische Umwälzzirkulation – auch Golfstrom-System genannt – ganz einfach Wärme nach Europa.
(Bild: Wang/CC BY 4.0)
Im kollektiven Klimagedächtnis geistert ein Szenario herum, das so drastisch wie greifbar ist: Der Golfstrom reißt ab, Europa friert, der Amazonas vertrocknet – und die Welt gerät aus dem Gleichgewicht. Doch so dramatisch wird es wohl nicht kommen. Zumindest nicht in diesem Jahrhundert. Denn eine neue Studie der renommierten Caltech-Universität bringt überraschende Entwarnung.
Ein Wärmepumpensystem unter Beobachtung
Die sogenannte Atlantische Umwälzströmung, englisch Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC), ist ein gewaltiger Kreislauf aus warmem Oberflächenwasser und kaltem Tiefenwasser, der das globale Klima stabilisiert. Sie speist den Golfstrom, beeinflusst die Monsoon-Zyklen in Afrika und Indien und sorgt für milde Winter in Europa. Doch unter dem Einfluss der globalen Erwärmung verliert dieses Strömungssystem an Kraft – mit bisher unklaren Konsequenzen.
Klimamodelle prognostizierten bislang eine Bandbreite möglicher Entwicklungen: von leichter Schwächung bis zum kompletten Kollaps. Letzteres würde eine schwerwiegende Klimaveränderung bedeuten. Doch das neue Forschungsteam um Dave Bonan, Tapio Schneider und Andrew Thompson legt nun ein physikalisches Modell vor, das reale Messdaten aus zwei Jahrzehnten einbezieht – mit überraschendem Ergebnis.
Neues Modell, neues Vertrauen
Das Caltech-Modell basiert auf fundamentalen physikalischen Zusammenhängen: Strömungstiefe, Dichteunterschiede und deren Dynamik in einem sich erwärmenden Ozean. Durch die Einbindung empirischer Daten – etwa aus ozeanografischen Messreihen im Atlantik – gelang es den Forschenden, die Spannweite der bisherigen Prognosen drastisch einzugrenzen.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die AMOC im Laufe des 21. Jahrhunderts zwar abnimmt, aber nicht in dem Maße, wie viele vorherige Modelle angenommen haben“, erklärt Bonan. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Strömung bis zum Jahr 2100 um etwa 18 bis 43 Prozent schwächer werden könnte – je nach Emissionsszenario. Ein Rückgang, ja. Aber kein Zusammenbruch.
Tiefe macht verletzlich
Der Clou der Analyse liegt in einer bislang wenig verstandenen Eigenschaft der AMOC: ihrer Tiefe. Denn Modelle, die heute eine besonders starke und tiefe AMOC simulieren, neigen dazu, auch eine stärkere Schwächung vorherzusagen. Warum? Weil tiefreichende Strömungen empfindlicher auf Temperatur- und Salzgehaltveränderungen reagieren, die durch globale Erwärmung und Schmelzwasserzufluss entstehen.
Bonan erklärt: „Modelle mit tiefer AMOC nehmen Oberflächenveränderungen tiefer in den Ozean hinein mit – dadurch kann es zu größerer Destabilisierung kommen.“ Wer also heute eine „übertriebene“ Stärke der AMOC in der Modellwelt simuliert, landet bei extrem pessimistischen Zukunftsszenarien.
Forschung braucht Spielraum
Dass ausgerechnet ein vereinfachtes Modell zu dieser Klarheit führt, ist kein Zufall – sondern Methode. Denn statt immer komplexere Simulationen aufzutürmen, wählte das Team einen reduktionistischen Ansatz mit starker empirischer Verankerung.
„Das NSF-Stipendium gab mir die Freiheit zu tüfteln und zu explorieren. Es hat mir ermöglicht, grundlegende Fragen neu zu stellen“, sagt Bonan über seine Förderung durch das Graduate Research Fellowship Program der US-Wissenschaftsstiftung.
Dieser Freiraum hat sich ausgezahlt: Die neue Studie könnte zu einer dringend benötigte Versachlichung einer Debatte beitragen, die seit Jahren zwischen Panik und Relativierung schwankt.
Kein Freibrief – aber mehr Klarheit
Was bedeutet das nun für Politik und Gesellschaft? Die AMOC bleibt verletzlich, aber sie bricht nicht gleich auseinander. Die neue Prognose ist kein Freibrief für klimapolitisches Nichtstun – doch sie entlastet jene Regionen, die besonders abhängig von den stabilisierenden Effekten der Atlantikzirkulation sind.
Nicht zuletzt zeigt die Studie: Klimamodelle müssen sich nicht nur an ihren Vorhersagen, sondern auch an der Realität messen lassen. Bonans Team hat mit seinem methodischen Spagat zwischen Theorie und Empirie genau das getan – und liefert so möglicherweise die Grundlage für weitere Modellverbesserungen.
Kurzinfo: Die AMOC auf einen Blick
- Was ist die AMOC?
Atlantische Umwälzströmung – ein System aus warmen und kalten Meeresströmungen, das Wärme von Süd nach Nord transportiert. - Wieso ist sie wichtig?
Sie beeinflusst das Klima in Europa, Afrika und Amerika maßgeblich. - Was sagt die neue Studie?
Die AMOC wird schwächer, aber nicht kollabieren – selbst bei hohen Emissionen nur 18 bis 43 Prozent Rückgang bis 2100. - Warum weichen Modelle so stark ab?
Tiefe Strömungen sind empfindlicher gegenüber Klimaveränderungen. Modelle mit tiefer AMOC simulieren daher oft zu starke Effekte. - Wer forschte daran?
Team um Dave Bonan (Caltech), gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus den USA und China.
Originalpublikation:
David B. Bonan et al.,
„Observational constraints imply limited future Atlantic meridional overturning circulation weakening“,
in:
Nature Geoscience (29.5.2025),
DOI 10.1038/s41561-025-01709-0
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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