Bauplan des Lebens sichern: Earth BioGenome Project will bis 2029 Hälfte aller Arten sequenzieren

Bauplan des Lebens sichern: Earth BioGenome Project will bis 2029 Hälfte aller Arten sequenzieren

Vor allem im globalen Süden soll die Sequenzierung mit Hilfe eines mobilen Labors („Genome Lab in a Box“) vor Ort vorangetrieben werden. Ein Wettlauf mit der Zeit – denn viele Hotspots der Biodiversität sind vom baldigen Verschwinden bedroht.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


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Das Earth BioGenome Project (EBP) hat ein Ziel, das größer kaum sein könnte: Den genetischen Bauplan allen bekannten Lebens auf der Erde festzuhalten. Mehr als 2.200 Forschende in 88 Ländern arbeiten daran, die DNA sämtlicher eukaryotischer Arten zu sequenzieren – von winzigen Algen bis hin zu großen Säugetieren. Entstehen soll ein digitales Archiv des Lebens, das nicht nur die Grundlagenforschung beflügelt, sondern auch Naturschutz, Medizin und Landwirtschaft entscheidend verändern könnte. Man könnte auch sagen: die Biologie erlebt ihren „Mann auf dem Mond-Moment“.

Von der Vision zur weltweiten Bewegung

Als das Projekt 2020 begann, war es nicht mehr als eine wagemutige Idee. Heute ist es ein globaler Verbund, in dem auch indigene und lokale Communities im Globalen Süden eine tragende Rolle spielen. Innerhalb weniger Jahre hat das Netzwerk mehr als 3.400 Genome erfasst – ein Fundus, der bereits Einblicke in die Anpassungsstrategien von Rentieren auf Spitzbergen oder in die Chromosomenentwicklung von Schmetterlingen erlaubt.

Da der Verlust der Biodiversität immer schneller voranschreitet, muss auch unsere Arbeit an Tempo gewinnen“, sagt Projektinitiator Harris Lewin von der Arizona State University. „Unser wachsendes digitales ‚Genom-Ark‘ verwandelt die Genomik von isolierten, teuren Einzelprojekten in ein globales, skalierbares und inklusives Unterfangen.

Dem Baum des Lebens auf der Spur

Die Forschenden sprechen gern in Metaphern. Mark Blaxter vom Wellcome Sanger Institute beschreibt die bisherigen Ergebnisse als das Wurzelwerk für einen neuen „Baum des Lebens“. „Wir haben die Wurzeln gelegt, um unseren digitalen Baum des Lebens aufzubauen – und unsere frühen Ergebnisse verändern bereits, was wir über Evolution, Ökosysteme und Biodiversität wissen“, sagte Blaxter.

Die Vision geht weit über Grundlagenforschung hinaus: Sequenzierte Genome können die Grundlage für neue Medikamente sein, helfen, Nutzpflanzen klimaresistenter zu machen, und sogar beim Aufspüren neuer Krankheitserreger unterstützen.

Phase II: Eine Beschleunigung in Lichtgeschwindigkeit

Mit Phase II tritt das Projekt nun in seine entscheidende Etappe. Innerhalb von vier Jahren sollen 150.000 Arten entschlüsselt werden – die Hälfte aller bekannten Gattungen. Dazu braucht es einen Takt von 3.000 Genomen pro Monat, also mehr als das Zehnfache des bisherigen Tempos. Möglich macht das ein technologischer Fortschritt: Genomanalysen sind inzwischen achtmal günstiger als noch vor wenigen Jahren.

Blaxter spricht von einem „Mann auf dem Mond-Moment“ der Genetik. „Während Arten verschwinden und Ökosysteme verfallen, wollen wir den biologischen Bauplan des Lebens für kommende Generationen sichern. Das Verstehen der Ursprünge und der Evolution des Lebens ist ein menschliches Streben, vergleichbar mit der Erforschung des Universums.

Labore im Container: Wissenschaft zum Mitnehmen

Besonders ehrgeizig ist der Plan, Sequenzierlabore in Überseecontainern – sogenannte „gBoxes“ – zu errichten. Sie sollen in abgelegenen Regionen stationiert werden, wo die Biodiversität am größten ist, etwa in Südamerika oder Südostasien. Lokale Forschende könnten damit Proben vor Ort analysieren, statt sie in den Norden zu exportieren.

Juliana Vianna von der Pontificia Universidad Católica in Chile sieht darin einen Wendepunkt: „Chile ist ein Hotspot der Biodiversität, doch viele endemische Arten sind bedroht und werden oft erst nach dem Export untersucht. Mit gBoxes können wir die Daten hier generieren und direkt in den Kontext der lokalen Schutzarbeit stellen.

Auch Andrew Crawford von der Universidad de los Andes in Kolumbien betont die politische Dimension: „Die gBox erlaubt es jedem Land, eigene Entscheidungen zu treffen, junge Forschende auszubilden und neue wirtschaftliche Impulse zu setzen.

Erkenntnis hat ihren Preis

Der Aufwand ist gewaltig, doch die Kosten erscheinen im Vergleich überschaubar: 1,1 Milliarden US-Dollar für Phase II, 4,42 Milliarden für das gesamte Vorhaben. Damit wäre das Projekt günstiger als das Human Genome Project oder das James-Webb-Weltraumteleskop – und könnte ebenso prägend für unser Selbstverständnis sein.

Denn während die Biodiversität rapide schwindet, wächst zugleich das Bewusstsein, dass ihr genetisches Erbe ein unersetzlicher Schatz ist. Das Earth BioGenome Project ist der Versuch, diesen Schatz für die Menschheit zu bewahren – nicht in Museen, sondern in Datenbanken.


Kurzinfo: Das Earth BioGenome Project

  • Ziel: Genetische Sequenzierung aller bekannten eukaryotischen Arten auf der Erde
  • Start: 2020, inzwischen über 2.200 Forschende aus 88 Ländern beteiligt
  • Ergebnisse Phase I: 3.465 Genome, darunter Erkenntnisse zu Rentieren und Schmetterlingen
  • Phase II: 150.000 Arten in vier Jahren, 3.000 Genome pro Monat
  • Innovation: Mobile Container-Labore („gBoxes“) für lokale Forschung im Globalen Süden
  • Kosten: 1,1 Mrd. US-Dollar (Phase II), 4,42 Mrd. gesamt
  • Bedeutung: Grundlagen für Naturschutz, Medizin, Landwirtschaft und Pandemievorsorge
  • Schwerpunkt: Stärkere Einbindung indigener und lokaler Communities

Originalpublikation:

Harris Lewin et al.,

The Earth BioGenome Project Phase II: illuminating the eukaryotic tree of life,

in: Frontiers in Science (4-Sep-2025)

DOI: 10.3389/fsci.2025.1514835

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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