Will Europa wirtschaftlich und militärisch unabhängiger von den USA werden, muss deutlich mehr investiert werden als zuvor. Das ist ohne eine solikde Finanzierung kaum möglich – eine mögliche Lösung wären gemeinsam aufgelegte Eurobonds.
(Redaktion: PiPaPu)
Die Dollar-Dominanz gerät ins Wanken. In den USA wachsen die Schulden, politische Blockaden erschüttern das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit der größten Volkswirtschaft der Welt. Gleichzeitig fehlt es global an sicheren Alternativen. Genau hier setzt ein neuer Vorschlag an: Europa soll jetzt handeln – mit einem eigenen, gemeinsamen Anleihemarkt.
Blue Bonds statt grüner Scheine
Die Idee ist nicht neu, aber aktueller denn je. Die Ökonomen Olivier Blanchard (MIT) und Angel Ubide fordern in einem aktuellen Kiel Policy Brief, dass die EU einen großen, liquiden Markt für sogenannte „Blue Bonds“ aufbaut. Diese Eurobonds sollen von allen Mitgliedstaaten gemeinsam begeben werden und bis zu 25 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts abdecken.
„Die Schaffung eines solchen Marktes würde den Anlegern die alternative, sichere Anlage zum US-Anleihemarkt bieten, nach der sie suchen“ , sagt Blanchard. Ein Markt im Umfang von rund 5.000 Milliarden Euro könnte entstehen. „Jetzt nicht zu reagieren, würde auch bedeuten, eine historische Chance zu verpassen, die Finanzierungskosten europäischer Staatsschulden zu senken.“
Zwei Ebenen, ein Ziel
Das Konzept sieht ein zweistufiges System vor: Auf der einen Seite die neuen Eurobonds, die als vorrangige Schuldtitel mit niedrigem Risiko gelten sollen. Auf der anderen Seite verbleiben nationale Anleihen, die nachrangig behandelt werden und individuelle Zinssätze haben.
„Wenn die EU-Staaten nationale Anleihen bis zu 25 Prozent des jeweiligen BIP gegen die gemeinsam ausgegebenen Eurobonds tauschen, wäre dieser Anteil einerseits groß genug, um die erforderliche Liquidität zu gewährleisten. Andererseits ist er klein genug, dass die Blue Bonds als sichere Anleihen gelten können“ , so Blanchard.
Dieser europäische Anker könnte in Krisenzeiten Stabilität bieten und Europa unabhängiger vom wankenden US-Finanzsystem machen. Denn obwohl der Dollar noch dominiert, schwindet das Vertrauen. Die Herabstufung der Bonität der USA, das politische Ringen um Haushaltsfragen und die wachsende Staatsverschuldung lassen Investoren nach Alternativen suchen.
Souveränität durch Solidarität
Ein gemeinsamer Anleihemarkt wäre nicht nur ein finanzielles Instrument, sondern ein politisches Signal. Die EU würde damit ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen und ein Symbol für innere Geschlossenheit setzen.
Zudem könnte ein liquider Eurobond-Markt helfen, die Fragmentierung der nationalen Finanzmärkte zu überwinden. Kleinere Mitgliedstaaten würden von niedrigeren Zinsen profitieren, während große Länder wie Deutschland oder Frankreich ihre Rolle als Stabilitätsspender stärken könnten.
Allerdings sind rechtliche und politische Hürden nicht zu unterschätzen. Vorbehalte in einigen Mitgliedstaaten gegen gemeinsame Schulden haften dem Projekt weiterhin an. Doch das Argument des „Moral Hazard“ greift bei einem begrenzten und klar regulierten Marktsegment weniger stark.
Geopolitik verlangt Handlungsfähigkeit
Die Ökonomen sehen im derzeitigen Umbruch der Weltordnung ein Fenster, das sich rasch wieder schließen könnte.
„Wir wissen, dass die Schaffung eines neuen Finanzinstruments und eines neuen Marktes auch neue Probleme und Risiken mit sich bringt. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass ein Nichtstun angesichts der großen geostrategischen Herausforderungen, die wir derzeit erleben, noch viel riskanter wäre“, so Blanchard.
Ein europäischer Anleihemarkt könnte auch anderen globalen Akteuren wie China oder den Golfstaaten eine stabile Anlagealternative bieten – und damit die internationale Rolle des Euro stärken.
Europas Stunde?
Die EU hat in der Pandemie gezeigt, dass sie gemeinsame Schulden aufnehmen kann, etwa mit dem „Next Generation EU“-Programm. Doch bisher blieb das die Ausnahme. Die Forderung nach dauerhaften, strukturell verankerten Eurobonds wäre der nächste Schritt.
Ob er gelingt, hängt von politischem Willen, institutionellen Reformen und dem Mut ab, über nationale Schatten zu springen. Die Chance ist da. Sie zu nutzen, liegt nun an der EU selbst.
Kurzinfo: Warum Eurobonds jetzt?
- Ziel: Aufbau eines großen, liquiden Anleihemarkts für die EU
- Blue Bonds: Gemeinsame Anleihen bis zu 25 % des nationalen BIP
- Zweck: Günstigere Staatsfinanzierung, geopolitische Stärkung
- Vorteile:
- Alternative zum US-Dollar-Anleihemarkt
- Stabilisierung in Krisenzeiten
- Stärkung der Euro-Rolle weltweit
- Modell: Vorrangige Eurobonds + nachrangige nationale Anleihen
- Risiken: Politischer Widerstand, rechtliche Hürden
- Potenzial: 5.000 Milliarden Euro Marktvolumen
Originalpublikation:
Olivier Blanchard & Angel Ubide,
„Eurobonds jetzt: das Ende der Dollar-Dominanz als Chance für Europa“ (https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/eurobonds-jetzt-das-ende-der-dollar-dominanz-als-chance-fuer-europa-34336/)
Über den Autor / die Autorin

- Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.
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