Ähnliche Gene prägen das Sozialverhalten von Menschen und Bienen – dass sich unsere Arten vor über 600 Millionen Jahren getrennt haben, macht diese Gemeinsamkeit umso bemerkenswerter.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
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Im Gewimmel eines Bienenstocks herrscht auf den ersten Blick Ordnung, die wie ein Uhrwerk funktioniert: Arbeiterinnen teilen Nahrung, tauschen Informationen und sichern so das Überleben des ganzen Volkes. Doch nicht jede Biene ist gleich gesellig. Manche suchen intensiv den Kontakt, andere halten sich zurück. Eine neue Studie zeigt nun: Hinter dieser Unterschiedlichkeit stecken genetische Mechanismen, die erstaunliche Parallelen zu sozialen Verhaltensweisen beim Menschen aufweisen.
Uralt und doch verbunden
Forschende der University of Illinois in Urbana-Champaign haben mit internationalen Kolleginnen und Kollegen untersucht, welche Gene das Sozialverhalten von Honigbienen prägen. Dabei stießen sie auf Varianten, die eng verwandt sind mit Genen, die beim Menschen mit sozialen Eigenschaften in Verbindung stehen – darunter auch Gene, die bei Autismus eine Rolle spielen. Dass Bienen und Menschen sich evolutionär vor über 600 Millionen Jahren getrennt haben, macht diese Gemeinsamkeit umso bemerkenswerter.
„Es ist ein zentrales Merkmal aller Gesellschaften, dass Gruppenmitglieder miteinander interagieren, sich aber in ihrem Drang dazu unterscheiden“, schreiben die Autorinnen und Autoren. „Mit der Kombination aus automatisierter Verhaltensanalyse, DNA-Sequenzierung und Hirntranskriptomik in Bienenvölkern konnten wir evolutionär konservierte molekulare Wurzeln der Geselligkeit identifizieren, die auch bei Menschen vorkommen.“
Bienen mit Barcodes
Für ihre Experimente sammelte das Team Arbeiterinnen aus drei Völkern, versah sie mit winzigen Barcodes und beobachtete ihr Verhalten in gläsernen Schaukästen. Ein Algorithmus erfasste automatisch, welche Bienen wie häufig Nahrung mit anderen teilten – ein Verhalten, das Fachleute „Trophallaxis“ nennen.
Die anschließende Genomanalyse von 357 Tieren brachte 18 genetische Varianten zutage, die mit diesem Verhalten zusammenhängen. Besonders auffällig waren zwei Gene: neuroligin-2 und nmdar2. Sie ähneln jenen Genen, die auch beim Menschen für soziale Interaktion relevant sind.
Über 900 Gene im Spiel
Doch die Forscherinnen und Forscher fanden noch mehr. Eine Analyse der Genaktivität im Bienenhirn zeigte: Je geselliger eine Biene war, desto stärker waren mehr als 900 Gene aktiv. Das unterstreicht, wie komplex das Zusammenspiel von Genetik und Verhalten ist. Es geht nicht um ein „Sozial-Gen“, sondern um ganze Netzwerke, die das Bedürfnis nach Kontakt prägen.
Ian Traniello, Hauptautor der Studie, betont die Bedeutung der neuen Methoden: „Soziale Insekten sind ideal für die Verhaltensbeobachtung ganzer Kolonien. Mit heutiger Technik können wir verfolgen, was jede einzelne Biene über fast ihr gesamtes Leben hinweg macht. Wir sehen, mit wem sie Nahrung teilt, wie sie sich bewegt und wo sie ihre Zeit verbringt. Gleichzeitig können wir die genetische Ausstattung analysieren. Genau diese Verbindung erlaubt uns, grundlegende Fragen über die molekularen Grundlagen sozialer Organisation zu stellen – und die Hypothese zu prüfen, dass einige dieser Mechanismen zwischen Arten erhalten geblieben sind.“
Parallelen zum Menschen
Die Entdeckung gemeinsamer genetischer Grundlagen wirft ein neues Licht auf die Entstehung von Sozialverhalten. Auch beim Menschen gibt es Unterschiede in der Geselligkeit – von extrovertierten Netzwerkerinnen bis hin zu Menschen, die lieber allein sind. Diese Vielfalt lässt sich durch Erfahrungen, Stimmungen oder soziale Kontexte erklären, doch offenbar haben auch uralte genetische Bausteine Einfluss.
Dass Bienen und Menschen trotz aller Unterschiede auf gemeinsame molekulare Grundlagen zurückgreifen, spricht für eine tiefe Verankerung sozialer Lebensweisen in der Evolution.
Zwischen Wissenschaft und Gesellschaft
Für die Forschung bedeutet die Arbeit einen doppelten Fortschritt: Sie liefert neue Ansätze, um das Verhalten sozialer Insekten zu verstehen – wichtig etwa für den Schutz von Bienenpopulationen. Gleichzeitig eröffnet sie Perspektiven für die Medizin, da ähnliche Mechanismen beim Menschen Einblicke in neurologische und psychologische Fragestellungen geben könnten.
Am Ende zeigt die Studie vor allem eines: Dass Gemeinschaft, ob im Bienenstock oder in menschlichen Gesellschaften, nicht nur eine kulturelle oder biologische Notwendigkeit ist – sondern tief in den Genen verwurzelt.
Kurzinfo: Genetik der Geselligkeit
- Studie der University of Illinois und Partnerinstitutionen
- Beobachtung von Honigbienen mit Barcode-Markierungen
- Automatisierte Analyse von Futterteilen („Trophallaxis“)
- Genomanalyse von 357 Arbeiterinnen
- 18 genetische Varianten mit Sozialverhalten verbunden
- Auffällige Gene: neuroligin-2 und nmdar2
- Parallelen zu menschlichen Genen, die bei Autismus eine Rolle spielen
- Über 900 Gene stärker aktiv bei geselligen Bienen
- Ergebnisse deuten auf evolutionär alte Grundlagen der Sozialität
Originalpublikation:
Traniello IM et al.,
Genetic variation influences food-sharing sociability in honey bees. PLoS Biol 23(9): e3003367. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3003367
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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