Ein Hurrikan der Stärke 5 ist selten – fehlen solche Ereignisse in den Trainingsdaten der KI komplett, werden die Prognosen ungenau, fanden die Forscher heraus.
Ein heißer Sommertag, kein Sturm in Sicht – und plötzlich türmen sich Gewitterwolken, es regnet in Strömen, Bäume stürzen um, ein Unwetter bricht herein. Für Meteorologen sind solche Ereignisse ein Albtraum. Für Künstliche Intelligenz (KI) auch. Denn während viele KI-Modelle heute Wetterdaten so gut wie Supercomputer auswerten, geraten sie ins Straucheln, sobald etwas passiert, das sie noch nie gesehen haben.
Wenn die Vergangenheit nicht reicht
KI-gestützte Wettermodelle lernen aus Daten. Sie analysieren historische Wetteraufzeichnungen, erkennen Muster und treffen Vorhersagen für kommende Tage. Das funktioniert hervorragend – solange das Wetter sich innerhalb der bekannten Muster bewegt. „Diese Modelle leisten Beeindruckendes bei der Alltagswettervorhersage“ sagt Pedram Hassanzadeh von der University of Chicago. „Aber wenn plötzlich ein extremes Ereignis auftritt, wird es schwierig.„
In einer aktuellen Studie testete Hassanzadehs Team, was passiert, wenn ein KI-Modell mit einem Szenario konfrontiert wird, das es nicht kennt – etwa einem Hurrikan der Kategorie 5, obwohl es nur Kategorie-2-Stürme gelernt hat. Das Ergebnis: Das Modell unterschätzte das Ereignis regelmäßig. „Es ahnt, dass etwas kommt, aber es bleibt bei der bekannten Kategorie“ sagt Yongqiang Sun, Co-Autor der Studie. Für Frühwarnsysteme kann das fatale Folgen haben.
„Graue Schwäne“ – selten, aber real
Meteorologen sprechen in solchen Fällen von „grauen Schwänen“ – Ereignissen, die zwar äußerst selten, aber nicht unmöglich sind. Anders als „schwarze Schwäne“, die völlig unerwartet eintreten (wie ein Meteoriteneinschlag), tauchen graue Schwäne gelegentlich auf – wie der Starkregen bei Hurricane Harvey 2017, ein Ereignis, das statistisch alle 2.000 Jahre vorkommt.
Doch die Trainingsdaten von KI-Programmen reichen oft nur 40 Jahre zurück – zu kurz, um solche Extremereignisse ausreichend abzubilden. Und was die KI nicht kennt, kann sie nicht vorhersagen.
Die Forscher betonen, dass es sich hier nicht um ein Softwareproblem handelt, sondern um ein grundlegend statistisches: Man kann nichts aus Daten lernen, die nicht existieren. Deshalb sei es entscheidend, neue Wege der Datengenerierung zu gehen.
Physik als Rettungsanker
Anders als klassische Wettermodelle, die auf physikalischen Gleichungen basieren, arbeiten KI-Systeme rein datengetrieben. Sie wissen nichts von Strömungsdynamik, Jetstreams oder Verdunstung – sie berechnen Wahrscheinlichkeiten. Hassanzadeh sieht genau hier den Ansatzpunkt: „Wenn wir die Prinzipien der Atmosphärenphysik in die KI integrieren, könnten wir auch seltene Ereignisse besser erfassen.„
Ein möglicher Weg ist das sogenannte Active Learning. Dabei nutzt die KI selbst klassische Modelle, um neue Extremszenarien zu simulieren – und lernt daran weiter. Auch die Kombination von KI mit gezielt gestreuten Trainingsdaten, etwa durch synthetische Extremwetterfälle, könnte helfen, die Modelle robuster zu machen.
Jonathan Weare von der NYU bringt es auf den Punkt: „Längere Datensätze allein reichen nicht. Wir müssen klüger überlegen, wo wir unsere Trainingsdaten platzieren, um die Leistung bei Extremereignissen zu verbessern.„
Über den Tellerrand hinaus
Ein Hoffnungsschimmer: Die KI kann verallgemeinern – zumindest in Teilen. Wenn etwa alle Daten zu Atlantik-Hurrikans entfernt werden, aber entsprechende Daten aus dem Pazifik bleiben, kann das Modell dennoch Vorhersagen für Atlantikstürme treffen. Das zeigt: geografische Einzelfälle lassen sich zum Teil übertragen. „Das war eine überraschend positive Erkenntnis„, sagt Hassanzadeh.
Doch für verlässliche Frühwarnungen reichen solche Transferleistungen nicht aus. Für Katastrophenschutz, Klimarisikoanalysen oder Infrastrukturplanung braucht es präzise Modelle – auch bei Seltenem. Deshalb fordern die Forschenden: KI-Wettermodelle müssen nicht nur schneller, sondern auch intelligenter werden.
Dabei geht es auch um Vertrauen. Frühwarnsysteme retten nur dann Leben, wenn sie ernst genommen werden. Ein KI-Modell, das regelmäßig extreme Wetterlagen unterschätzt, verliert Glaubwürdigkeit – und mit ihr seine Wirksamkeit.
Am Ende steht also die Frage, wie wir Technologie gestalten wollen: als cleveres Statistikwerkzeug – oder als echte Erweiterung unseres Verständnisses vom Wetter. Der Weg dorthin ist offen – und eine Einladung zum interdisziplinären Denken.
Kurzinfo: Grenzen der KI-Wetterprognose
- KI-Modelle wie GraphCast liefern präzise Kurzzeitprognosen
- Problem: „Graue Schwäne“ wie extreme Hurrikans werden unterschätzt
- Ursache: Fehlende Trainingsdaten für seltene Ereignisse
- Lösung: Integration physikalischer Gesetzmäßigkeiten in KI-Modelle
- Active Learning als neuer Ansatz: KI erzeugt eigene Extremszenarien
- Studienergebnis: KI kann Ereignisse aus anderen Regionen übertragen
- Ziel: Frühwarnsysteme mit zuverlässiger Extremwetterprognose
Originalpublikation: Sun et al. (2025): Can AI weather models predict out-of-distribution gray swan tropical cyclones?,
in: Proceedings of the National Academy of Sciences,
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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