Gibt es mehr Süßwasser-Reserven, als man früher dachte – und zwar unter dem Meeresboden? Vor der US-Küste gehen Wissenschaftler dieser Frage nun buchstäblich auf den Grund – sie entnehmen Sedimentproben.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
Es ist ein paradoxes Bild: Über dem Kopf nichts als endloses Salzwasser – und darunter eine Quelle frischen Trinkwassers. Was wie ein Widerspruch klingt, hat ein internationales Forscherteam nun zur Realität gemacht. Vor der Küste von Massachusetts sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Bord des Bohrschiffs „Robert“ unterwegs, um unter dem Meeresboden gespeichertes Süßwasser zu untersuchen – ein bislang kaum erforschtes Phänomen, das globale Bedeutung haben könnte.
Alte Entdeckung, neue Fragen
Schon in den 1960er-Jahren entdeckten Meeresforscher erste Hinweise auf Süßwasser im Ozeanboden. Die Daten damals ließen auf unterirdische Wasseradern schließen, die dem Grundwasser an Land ähnelten. Doch wie kommt frisches Wasser unter den Meeresboden – und wie lange bleibt es dort erhalten?
Genau diesen Fragen widmet sich nun die Expedition 501 des Internationalen Programms für Ozeanbohrungen (IODP³) in Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen National Science Foundation. Ziel ist es, Proben aus Sedimenten und Wasser in bis zu 550 Metern Tiefe unter dem Meeresboden zu gewinnen. Die Hoffnung: mehr Klarheit über Herkunft, Alter und Bedeutung dieser unterirdischen Wasservorkommen.
Spuren einer eiszeitlichen Vergangenheit
Die Hypothesen der Fachwelt reichen weit zurück in die Erdgeschichte. Möglicherweise stammt das Wasser aus Regenzeiten, als der Meeresspiegel deutlich niedriger war als heute. Eine andere Möglichkeit: Schmelzwasser aus der letzten Eiszeit könnte sich unter dem Ozeanboden eingelagert haben.
„Wir haben anekdotische Hinweise auf küstennahes, frisches Grundwasser aus Proben und geophysikalischen Meeresuntersuchungen“, erklärt Hydrogeologe Brandon Dugan. „Wir haben diese Hinweise genutzt, um Hypothesen über den Zeitpunkt und den Mechanismus der Einlagerung zu entwickeln. Es ist spannend, etablierte wissenschaftliche Ansätze für Meeresbohrungen mit modernen Datenanalysen zu nutzen, um unsere Hypothesen direkt zu testen.“
Das Team um Dugan und die Umweltgeochemikerin Karen Johannesson will nicht nur das Alter des Wassers klären, sondern auch seinen Einfluss auf Stoffkreisläufe verstehen. „Bislang wissen wir nur sehr wenig über die Dynamik dieser küstenquerenden Grundwassersysteme“, so Johannesson, „und noch weniger über ihren Einfluss auf den Kreislauf von Nährstoffen und Spurenelementen.“
15 Milliliter für die Wissenschaft
Die Probenahme ist Millimeterarbeit. Dr. Verena Heuer vom MARUM in Bremen koordiniert die chemischen Analysen. Aus jedem Sedimentkern werden nur etwa 15 Milliliter Porenwasser gewonnen – kostbares Material, das für mehr als 20 Analysen auf zwölf internationale Labore verteilt wird. „Gute Kommunikation und ein sorgfältig ausgearbeiteter Probennahmeplan sind von zentraler Bedeutung“, betont Heuer.
Das MARUM ist mit mobilen Container-Laboren an Bord vertreten und wird auch die Auswertung in Bremen koordinieren. Das gesamte Team zählt 41 Forschende aus 13 Ländern – von Australien bis Portugal, von China bis in die Schweiz. Ihre Expedition gliedert sich in eine Offshore- und eine Onshore-Phase: Im Januar 2026 treffen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Bremen, um die Bohrkerne gemeinsam zu analysieren.
Trinkwasserreserven der Zukunft?
Die gesellschaftliche Relevanz des Projekts ist enorm. Weltweit sind Küstenregionen mit zunehmender Wasserknappheit konfrontiert – unterirdische Süßwasserspeicher könnten künftig zur Ressource werden. Zudem soll das Projekt zeigen, wie sich Süß- und Salzwasser unter dem Meeresboden gegenseitig beeinflussen – ein wichtiger Aspekt für den Küstenschutz.
Gleichzeitig eröffnen die Funde neue Perspektiven für die Biogeochemie. Die Forschenden wollen verstehen, welche Mikroorganismen im Porenwasser leben, welche Kohlenstoffquellen sie nutzen – und wie sie Nährstoffe und Metalle binden oder freisetzen.
Offene Daten für die globale Forschung
Sobald alle Proben analysiert und die Daten ausgewertet sind, sollen die Ergebnisse öffentlich zugänglich gemacht werden. Ziel ist nicht nur ein besseres Verständnis für die Hydrogeologie des Neuengland-Schelfs, sondern auch für ähnliche Systeme weltweit.
Ob es künftig einmal möglich sein wird, unterirdisches Meeres-Süßwasser als Trinkwasserquelle zu nutzen, ist noch ungewiss. Doch die Erkenntnisse dieser Expedition könnten ein Meilenstein auf dem Weg dorthin sein – und ein neues Kapitel in der Geschichte des Wassers aufschlagen.
Kurzinfo: Expedition 501
- Ort: Neuengland-Schelf vor Massachusetts, USA
- Ziel: Untersuchung unterirdischer Süßwassersysteme
- Methoden: Bohrungen bis 550 Meter unter Meeresboden, Porenwasser- und Sedimentproben
- Forschungsschwerpunkte: Alter, Herkunft, chemische Zusammensetzung des Wassers; Einfluss auf Stoffkreisläufe
- Beteiligte: 41 Forschende aus 13 Ländern
- Organisation: IODP³, NSF, MARUM (Bremen)
- Schiff: Hubplattform L/B Robert
- Zeitrahmen: Offshore-Arbeiten bis August 2025, Onshore-Phase in Bremen ab Januar 2026
- Offene Wissenschaft: Daten und Ergebnisse werden frei veröffentlicht
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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