Unter den Primaten pflegen nur zwei Arten mit ihren Babys zu babbeln: Homo Sapiens und Marmosets, eine Krallenaffenart. Grund scheint das besonders schnelle Gehirnwachstum nach der Geburt zu sein, das soziale Anpassung ermöglicht.
(Bild: Francesco Veronesi, Flickr (2014). Lizenz: CC BY-SA 2.0)
Ein Säugling gluckst, die Eltern antworten – und schon wird aus scheinbar sinnfreiem Gebrabbel eine Lektion in Sprache. Dieses Pingpong-Spiel der Laute gehört zu den eindrücklichsten Momenten im frühen Leben. Doch wie außergewöhnlich dieser Lernweg tatsächlich ist, zeigt nun eine Studie im Fachjournal PNAS. Sie legt nahe: Der Schlüssel liegt in den besonders schnell wachsenden Gehirnen von Menschen und – überraschenderweise – Marmosets, kleinen südamerikanischen Krallenaffen.
Ein Rätsel im Stammbaum
Sprache ist ein Alleinstellungsmerkmal des Menschen. Doch das Prinzip des Lernens durch Feedback taucht in der Natur nur äußerst selten auf. Einige Singvögel wie Zebrafinken beherrschen es – und eben Marmosets. Die winzigen Affen aus den Wäldern Brasiliens durchlaufen wie menschliche Kinder eine Phase des „Babblings“. Ihre ersten krächzenden Laute verwandeln sich nach und nach in erwachsene Rufe – vorausgesetzt, erwachsene Tiere reagieren darauf.
Der Princeton-Neurowissenschaftler Asif Ghazanfar erinnert sich: „Das war ein ziemlich großes ‚Aha!‘-Erlebnis, als ich gemeinsam mit Kollegen vor rund zehn Jahren dieses Verhalten erstmals dokumentierte„. Dass Menschen und Marmosets zuletzt vor 40 Millionen Jahren einen gemeinsamen Vorfahren hatten, macht die Parallele noch verblüffender. Selbst Schimpansen, unsere engsten Verwandten, brauchen kaum Anleitung, um die typischen Rufe ihrer Art zu meistern.
Gehirne im Wachstumsschub
Die aktuelle Untersuchung unter Leitung der Princeton-Doktorandin Renata Biazzi vergleicht die Hirnentwicklung von vier Primatenarten: Menschen, Marmosets, Schimpansen und Rhesusaffen. Das Ergebnis: Bei Menschen und Marmosets wächst das Gehirn in den ersten Lebensmonaten deutlich schneller als bei den anderen Arten. Entscheidend ist, dass dieser Entwicklungsschub nicht vor, sondern nach der Geburt stattfindet – in einer Phase, in der Säuglinge bereits intensiv mit ihrer sozialen Umwelt interagieren.
„Weil ihre Gehirne noch wachsen, bedeutet das, dass die soziale Umgebung, in die ein Säugling hineingeboren wird, einen enormen Einfluss auf das Lernen hat“. Die Rückmeldungen der Eltern oder anderer Helfer wirken direkt auf ein hochgradig formbares Nervensystem.
Soziales Lernen im Rudel
Wie beim Menschen gilt auch bei Marmosets: Kindererziehung ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Mütter und Väter teilen sich die Fürsorge, auch Geschwister helfen. Jeder Laut, jedes Schreien wird beantwortet – und dadurch verstärkt. Mithilfe mathematischer Modelle konnten die Forschenden zeigen, wie diese dichten sozialen Rückmeldungen, gekoppelt mit schnellem Gehirnwachstum, die Grundlage für komplexere Sprachfähigkeiten legen.
Co-Autorin Heidi Sevestre fasst zusammen: „Das bedeutet nicht, dass andere Primaten ihre Laute nie verändern können. Aber die Phase der Kindheit ist eine Art sensibles Zeitfenster, in dem die Gehirne besonders formbar sind“.
Perspektiven für die Sprachforschung
Die nächsten Schritte der Forschenden zielen darauf, die Details der Kommunikation zu entschlüsseln: Nutzen erwachsene Marmosets spezielle Lautmuster, ähnlich dem menschlichen „Babytalk“? Und wie genau reagieren die Kleinen darauf? Die Antworten könnten zeigen, welche Mechanismen uns Menschen befähigen, aus Gebrabbel ganze Sprachen zu entwickeln – und warum andere Primaten diesen Weg nicht einschlagen.
„Wir sprechen hier nur über das vokale Lernen während der Kindheit“, betont Ghazanfar. „Aber genau in dieser Zeit sind die Gehirne am anpassungsfähigsten.“
Die Erkenntnis, dass ein sich schnell entwickelndes Gehirn die Basis für sprachliches Lernen bildet, verbindet damit zwei weit voneinander entfernte Linien im Stammbaum der Primaten. Für die Sprachforschung bedeutet das: Manchmal liefern gerade die kleinen Affen aus dem Regenwald den größten Hinweis auf die Wurzeln der menschlichen Sprache.
Zusammenfassung (45 Wörter)
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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