Wie sieht die Zukunft der Gletscher aus? Die gute Nachricht: sie könnten sich erholen, wenn die Erderwärmung gebremst wird. Die schlechte Nachricht: Das wird wohl Jahrhunderte dauern.
(Bild: Redaktion/PiPapu)
Was einmal geschmolzen ist, bleibt geschmolzen – zumindest für viele Jahrhunderte. Das ist die bittere Botschaft einer neuen Gletscher-Studie von Forschenden der Universitäten Bristol und Innsbruck, veröffentlicht im Fachjournal Nature Climate Change. Sie zeigt: Die Eisriesen dieser Welt werden sich selbst dann nicht erholen, wenn es gelingt, die globale Durchschnittstemperatur nach einem Überschreiten der kritischen Marke von 1,5 Grad wieder abzusenken. In sogenannten Overshoot-Szenarien – also wenn die Erde zeitweise über die 1,5-Grad-Grenze hinaus erhitzt wird, etwa auf 3 Grad, bevor sie sich langsam wieder abkühlt – sind die Schäden an den Gletschern kaum noch umkehrbar.
Eingefrorene Vergangenheit, geschmolzene Zukunft
Die Studie simuliert erstmals das Verhalten sämtlicher Gebirgsgletscher weltweit – von den Alpen bis zu den Tropen – bis ins Jahr 2500. Ausgenommen sind dabei nur die großen Eisschilde in Grönland und der Antarktis. Die Forschenden kombinieren dabei Klimamodelle aus der Schweiz mit einem offenen Simulationsmodell der Universität Bristol. Schon jetzt ist der Temperaturanstieg nicht mehr nur ein theoretisches Risiko: 2024 war das weltweit heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen – das erste Kalenderjahr, das den 1,5-Grad-Grenzwert vollständig überschritten hat.
Mehr Schmelze, mehr Meer
Die Zahlen sind drastisch: Selbst wenn die Temperaturen bis 2300 wieder auf 1,5 Grad sinken, verlieren die Gletscher durch das Überschreiten der Marke bis zu 16 Prozent mehr Masse – im Vergleich zu einer Welt, die diese Schwelle nie überschreitet.
„Wir wollten wissen: Können Gletscher sich wieder erholen, wenn sich das Klima abkühlt? Die Antwort ist leider ernüchternd“, sagt Dr. Fabien Maussion, Mitautor der Studie und Experte für Polare Umweltveränderungen. Die Folgen der Schmelze sind weitreichend: Schmelzwasser gelangt ins Meer und treibt den Meeresspiegel weiter in die Höhe – ein Effekt, der sich über Generationen auswirkt.
Erholung auf Zeitreise
Während große Gletscher in polaren Regionen Jahrtausende für eine mögliche Regeneration benötigen, sind kleinere Gebirgsgletscher ebenfalls stark betroffen. „Unsere Modelle zeigen, dass sich kleinere Gletscher wie in den Alpen, im Himalaya oder in den Tropischen Anden frühestens bis 2500 erholen könnten – aber definitiv nicht in der Lebenszeit unserer Kinder oder Enkel“, sagt Dr. Lilian Schuster von der Universität Innsbruck, die Hauptautorin der Studie. Dabei sind gerade diese Gletscher für Millionen von Menschen lebenswichtig – sie liefern in Trockenzeiten das Wasser für Landwirtschaft, Stromerzeugung und Trinkwasserversorgung.
Vom Gletscherwasser zur Versorgungslücke
Die Forscherinnen und Forscher weisen darauf hin, dass das temporäre Abschmelzen – auch „Peak Water“ genannt – zunächst zu einer höheren Wasserverfügbarkeit führt. Doch dieser Trend dreht sich womöglich im nächsten Jahrhundert ins Gegenteil: „Wenn Gletscher wieder wachsen, speichern sie Wasser als Eis. Das bedeutet: Weniger Wasser fließt flussabwärts – wir nennen das ‚Trough Water‘“, erklärt Schuster. Nach dem Höhepunkt folgt also der Tiefpunkt: Etwa die Hälfte der untersuchten Einzugsgebiete werde nach 2100 mit einem Rückgang der Wasserverfügbarkeit konfrontiert. Wie gravierend die Auswirkungen sein werden, sei noch unklar – doch das Forschungsteam versteht seine Arbeit als Grundlage für künftige Studien zu Klimaresilienz.
Ein Wettlauf gegen die Zeit
Die Studie entstand im Rahmen des EU-Projekts PROVIDE, das untersucht, wie sich temporäre Klimaüberschreitungen auf verschiedene Sektoren auswirken. „Ein zeitweises Überschreiten der 1,5-Grad-Grenze zementiert Gletscherverluste für Jahrhunderte. Unsere Studie zeigt: Viele dieser Schäden lassen sich nicht rückgängig machen – selbst wenn wir das Ruder später herumreißen“, betont Maussion.
Die Pointe dieser Forschung ist unbequem: Die Klimaziele des Pariser Abkommens reichen nicht mehr aus – entscheidend ist, sie jetzt umzusetzen. Denn jedes Jahr Verzögerung erhöht die Hypothek, die wir kommenden Generationen aufbürden.
Infokasten: Gletscher im Klimastress – die wichtigsten Fakten
- Studie: Gletscherentwicklung bis 2500 unter Overshoot-Szenarien
- Szenario: Temperatur steigt auf 3 °C bis 2150, sinkt auf 1,5 °C bis 2300
- Verlust: Zusätzlich 16 Prozent Gletschermasse bis 2200, 11 Prozent bis 2500
- Betroffene Regionen: Alpen, Anden, Himalaya, tropische Gletscher
- Folgen: Verstärkter Meeresspiegelanstieg, Wasserknappheit („Trough Water“)
- Wiederherstellung: Nur über viele Jahrhunderte – wenn überhaupt
- Forschungsverbund: Uni Bristol, Uni Innsbruck, Uni Bern, PROVIDE-Projekt
Originalstudie:
Lilian Schuster et al., Irreversible glacier change and trough water for centuries after overshooting 1.5°C,
in: Nature Climate Change (Preprint, September 2024),
DOI:10.21203/rs.3.rs-5045894/v1
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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