Nein, zugegeben, es ging nicht um Käse. Doch die Technik an sich funktioniert: winzige Zuckungen, kaum sichtbare Bewegungen im Gesicht verraten offenbar weitaus mehr, als wir meinen.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
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Nicht nur Gefühle wie Freude oder Angst lassen sich im Gesicht ablesen, sondern – das legt eine neue Studie nahe – auch die Gedanken dahinter. Forschende des Champalimaud Centre for the Unknown in Portugal konnten zeigen, dass Mäusegesichter ein Abbild komplexer Hirnprozesse liefern. Damit öffnet sich ein faszinierendes Fenster ins Innere des Denkens – und zugleich eine Debatte über mentale Privatsphäre.
Gesichter als Spiegel des Denkens
Menschen sind geübt darin, Emotionen zu deuten. Doch Gedanken? Bislang galt es als ausgeschlossen, kognitive Strategien direkt aus dem Gesicht abzulesen. Mit maschinellem Lernen und hochauflösenden Videoaufnahmen konnten die Forschenden jedoch nachweisen, dass subtile Bewegungen im Mäusegesicht Rückschlüsse auf die Entscheidungsfindung zulassen.
„Zu unserer Überraschung fanden wir heraus, dass wir genauso viele Informationen darüber erhielten, was die Maus ‚dachte‘, wie aus der Aktivität dutzender Neuronen“, erklärt Zachary Mainen, leitender Forscher am Champalimaud Centre.
Rätselspiel mit süßem Anreiz
Um den Effekt zu testen, ließen die Wissenschaftler Mäuse zwischen zwei Trinkröhrchen wählen. Nur eines spendete süßes Wasser – und die Belohnung wechselte ständig. Die Tiere mussten Strategien entwickeln, um erfolgreich zu sein.
„Wir wussten, dass Mäuse verschiedene Strategien nutzen können, und wir konnten anhand ihres Verhaltens erkennen, welche sie gerade anwandten“, sagt Fanny Cazettes, heute an der Universität Aix-Marseille tätig. Doch das Überraschende: Im Gehirn spiegelten sich alle Strategien parallel wider, egal, welche die Maus gerade benutzte.
Damit stellte sich die entscheidende Frage: Lassen sich diese parallelen Muster auch im Gesicht ablesen?
Mimik als neuronaler Code
Die Forscher kombinierten Aufzeichnungen von Gesichtsausdrücken mit neuronaler Aktivität und setzten Algorithmen darauf an. Das Ergebnis war eindeutig: Bewegungen im Gesicht waren genauso aufschlussreich wie die Daten aus dem Gehirn.
„Ähnliche Gesichtsmuster repräsentierten dieselben Strategien bei verschiedenen Mäusen. Das deutet darauf hin, dass die Spiegelung bestimmter Gedankenmuster in der Mimik stereotyp sein könnte – ähnlich wie Emotionen“, betont Co-Autor Davide Reato von der Universität Aix-Marseille.
Die Entdeckung eröffnet einen neuen Zugang: Gedanken lassen sich in Bewegungen übersetzen, die zuvor als bedeutungslos erschienen.
Neue Chancen, neue Risiken
Für die Neurowissenschaften ist das ein Meilenstein. Ohne invasive Eingriffe könnte das Gehirn künftig erforscht werden – mit Relevanz für Diagnostik und Therapie bei Erkrankungen wie Demenz oder Depressionen.
„Unsere Studie zeigt, dass Videos nicht nur Verhalten aufzeichnen – sie können auch ein detailliertes Fenster in die Gehirnaktivität öffnen. Auch wenn das wissenschaftlich spannend ist, wirft es Fragen zum Schutz unserer Privatsphäre auf“, warnt Alfonso Renart vom Champalimaud Centre.
Denn wenn Maschinen Gedanken aus Gesichtszügen lesen können, liegt der Schritt zur Anwendung beim Menschen nicht fern. Was heute in Labormäusen möglich ist, könnte morgen in Klassenzimmern, bei Bewerbungsgesprächen oder in der Werbung diskutiert werden – mit allen Chancen und Gefahren.
Das Gehirn zwischen Labor und Alltag
Die Forschenden verstehen ihre Arbeit als Beweis des Prinzips. Doch schon jetzt ist klar: Gesicht und Gehirn sind enger verbunden, als man bisher dachte. Bewegungen, die wir kaum bewusst kontrollieren, verraten innere Prozesse – unsere Gedanken könnten damit im Zeitalter allgegenwärtiger Videoüberwachung und KI-gestützter Auswertung ins Blickfeld privater und staatlicher Akteure geraten.
Kurzinfo: Mäusegesichter und Hirnprozesse
- Studie des Champalimaud Centre for the Unknown, Portugal
- Veröffentlicht in Nature Neuroscience am 30. September 2025
- Mäuse mussten zwischen zwei Trinkröhrchen wählen, Belohnung wechselte
- Maschinelles Lernen entschlüsselte Gesichtsbewegungen
- Mimik spiegelte parallele Strategien im Gehirn wider
- Vergleichbar aussagekräftig wie Daten dutzender Neuronen
- Ergebnisse auch über verschiedene Tiere hinweg stabil
- Potenzial für nicht-invasive Diagnostik in der Medizin
- Forschung wirft Fragen zum Schutz mentaler Privatsphäre auf
Originalpublikation:
Fanny Cazettes et al.,
Facial expressions in mice reveal latent cognitive variables and their neural correlates,
in: Nature Neuroscience (30-Sep-2025)
DOI: 10.1038/s41593-025-02071-5
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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