Sepsis in Deutschland: warum hierzulande weiter zu viele Menschen sterben

Sepsis in Deutschland: warum hierzulande weiter zu viele Menschen sterben

Von hierzulande täglich 190 Todesfälen durch eine Sepsis könnte die Hälfte durch Qualitätsverbesserungen im Gesundheitssystem verhindert werden, legt der aktuelle Sepsis-Bericht nahe.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


Kurzinfo: Weltweiter Sepsis-Bericht 2025

  • Potenzial: Reduktion der Todesfälle um bis zu 50 Prozent
  • Quelle: The Lancet, Global Burden of Disease Report 1990–2021
  • 211.000 Sepsis-Todesfälle in Deutschland im Jahr 2021
  • Weltweit 166 Millionen Fälle, 21,4 Millionen Todesfälle
  • Deutschland: 247 Sepsis-Tote pro 100.000 Einwohner
  • Höhere Sterblichkeit als in Australien oder der Schweiz
  • Besonders betroffen: Harnwegs-, Bauchraum-Infektionen, Neugeborene
  • Jährliche Kosten: 32,7 Milliarden Euro
  • Forderung: Umsetzung der WHO-Sepsis-Resolution

Es ist eine stille Krise: Jahr für Jahr sterben in Deutschland mehr als 200.000 Menschen an einer Sepsis – einer Blutvergiftung, die eigentlich behandelbar wäre. Der neue „Global Burden of Disease“-Bericht, veröffentlicht in The Lancet, zeigt ein ernüchterndes Bild: Während die Sterblichkeit weltweit sinkt, verharrt Deutschland auf alarmierend hohem Niveau.

Eine Ausnahme unter Industrienationen

Global sank die Sepsis-Sterberate seit 1990 deutlich – von 309 auf 182 Todesfälle pro 100.000 Menschen. In Deutschland dagegen stieg sie im selben Zeitraum an: von 148 auf 163, im Jahr 2021 sogar auf 247 Todesfälle pro 100.000 Einwohner. Besonders dramatisch ist die Lage bei Harnwegs- und Bauchraum-Infektionen: Hier liegt das Sterberisiko bis zu 47 Prozent höher als in der Schweiz.

Auch Neugeborene sind überdurchschnittlich gefährdet – mit 12 Todesfällen pro 100.000 Geburten liegt Deutschland weit über Ländern wie Norwegen. Die Zahlen deuten auf strukturelle Defizite hin: verspätete Diagnosen, mangelnde Schulung im Klinikalltag, unklare Zuständigkeiten.

Milliardenkosten und menschliches Leid

Neben den individuellen Schicksalen trägt die Volkswirtschaft eine enorme Last. Jährlich verursacht Sepsis Behandlungskosten von 32,7 Milliarden Euro – rund 6,5 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben. Dabei wären viele Todesfälle vermeidbar, wenn das Gesundheitssystem schneller reagierte.

Die Sepsis Stiftung fordert deshalb ein entschlossenes Vorgehen: eine verpflichtende Früherkennung in Krankenhäusern, bessere Meldeverfahren und einheitliche Behandlungsstandards. Nur so könne die Zahl der Todesfälle langfristig halbiert werden.

Reformstau trotz WHO-Resolution

Deutschland hatte 2017 eine Schlüsselrolle bei der WHO-Sepsis-Resolution übernommen, die weltweit verbindliche Maßnahmen anregte. Doch ausgerechnet im eigenen Land stockt die Umsetzung. Professor Konrad Reinhart, Vorsitzender der Sepsis Stiftung, findet deutliche Worte: „Die Bundesregierung fand für ihre Vorreiterrolle bei der Annahme der WHO-Resolution international große Anerkennung. Die bisher fehlende Umsetzung im eigenen Land unterminiert jedoch die Glaubwürdigkeit der Politik.“

Er sieht im jüngsten Bericht eine Chance für die neue Gesundheitsministerin Nina Warken, die Blockaden zu lösen: „Die nunmehr nicht länger zu leugnende Dimension des Problems bietet eine große Chance, die meist durch Partikularinteressen geprägten Widerstände gegen eine evidenzbasierte und gemeinwohlorientierte Gesundheitspolitik zu überwinden.“

Eine Frage des politischen Willens

Andere Länder haben vorgemacht, wie es geht: Früherkennungssysteme, verpflichtende Schulungen, zentrale Register. Dort ist die Sterblichkeit binnen Jahren deutlich gesunken. In Deutschland dagegen bleibt Sepsis zu oft unerkannt, bis es zu spät ist.

Würde die WHO-Resolution vollständig umgesetzt, könnten hierzulande täglich rund 190 Todesfälle verhindert werden. Das wäre nicht nur ein medizinischer Fortschritt – sondern ein humanitäres Gebot. Denn Sepsis ist keine unbeherrschbare Krankheit, sondern eine, an der man heute noch stirbt, weil Strukturen versagen.


Originalpublikation:

Global, regional, and national sepsis incidence and mortality, 1990–2021: a systematic analysis,

in: The Lancet Published Online October 21, 2025

DOI: 10.1016/ S2214-109X(25)00356-0

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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