Lange Zeit galt der Verlust des Geruchssinns als ein kurioses, vorübergehendes Symptom der Corona-Pandemie. Doch eine neue Studie legt nahe: Der Schaden ist oft bleibend.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
Wer sich eine Erkältung einfängt, kennt es: Plötzlich riecht der Kaffee fad, das Lieblingsparfum bleibt stumm. Doch was nach einigen Tagen vergeht, kann nach einer Corona-Infektion zur Langzeitlast werden. Eine neue Studie zeigt, dass der Verlust des Geruchssinns nicht nur häufiger vorkommt, als Betroffene wahrnehmen – sondern auch über Jahre hinweg anhalten kann.
Forschende aus den USA haben mehr als 3.500 Erwachsene getestet, darunter Infizierte und Nicht-Infizierte. Das Ergebnis überrascht: Selbst Menschen, die keine Veränderungen wahrnahmen, zeigten im formalen Riechtest deutliche Einschränkungen. Und wer über Probleme klagte, schnitt meist noch schlechter ab.
Ein unterschätztes Symptom
Lange Zeit galt der Verlust des Geruchssinns als ein kurioses, vorübergehendes Symptom der Corona-Pandemie. Doch die Studie im Fachjournal JAMA Network Open legt nahe: Der Schaden ist oft bleibend. Rund 80 Prozent der Befragten, die eine Beeinträchtigung gemeldet hatten, erzielten auch zwei Jahre nach der Infektion niedrige Werte im Test.
Co-Studienleiterin Leora Horwitz von der NYU Langone Health betont: „Unsere Ergebnisse bestätigen, dass Menschen mit einer COVID-19-Vorgeschichte besonders gefährdet sind, einen geschwächten Geruchssinn zu entwickeln – ein Problem, das in der Allgemeinbevölkerung noch immer unterschätzt wird.“
Besonders alarmierend: Ein Viertel der Betroffenen war so stark beeinträchtigt, dass sie kaum oder gar nichts mehr rochen.
Gefahr im Alltag
Der Geruchssinn ist weit mehr als eine sinnliche Spielerei. Wer ihn verliert, riskiert nicht nur, weniger Appetit oder Freude am Essen zu empfinden. Auch Gefahrensignale verschwinden: verdorbene Lebensmittel, Rauch, Gas. Zudem hängt Hyposmie, wie Fachleute die Einschränkung nennen, mit Depressionen, Gewichtsverlust und erhöhter Sturzgefahr zusammen.
Forschende weisen zudem darauf hin, dass Riechstörungen frühe Anzeichen neurodegenerativer Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer sein können. Corona könnte so indirekt den Blick auf ein viel größeres Risiko schärfen.
Das Maß der Dinge: 40 Düfte
Um Klarheit zu gewinnen, setzten die Forschenden auf einen bewährten Test: den University of Pennsylvania Smell Identification Test (UPSIT). Dabei müssen Teilnehmende 40 Kratz-und-Riech-Kärtchen identifizieren, von Zimt bis Benzin. Jeder richtige Treffer gibt einen Punkt, die Gesamtzahl wird mit Normdaten verglichen.
Besonders brisant: Zwei Drittel der ehemals Infizierten, die keine Beschwerden gemeldet hatten, schnitten ebenfalls außerordentlich schlecht ab. Selbst 60 Prozent der Menschen ohne bekannte Infektion zeigten Auffälligkeiten. Das wirft Fragen auf – etwa, ob nicht doch mehr Personen mit Corona in Kontakt waren, als sie wissen, oder ob andere Faktoren den Geruchssinn beeinflussen.
Therapien noch in den Kinderschuhen
Die Medizin sucht nun Wege, den verlorenen Sinn zurückzubringen. Diskutiert werden Vitamin-A-Gaben oder gezieltes Riechtraining, bei dem das Gehirn durch regelmäßige Geruchsübungen „neu verdrahtet“ werden soll. Doch verlässliche Therapieerfolge sind bislang selten.
Horwitz plädiert für einen systematischeren Ansatz: „Diese Ergebnisse legen nahe, dass Ärztinnen und Ärzte den Geruchssinn routinemäßig im Rahmen der Nachsorge nach COVID prüfen sollten.“
Und sie warnt: „Auch wenn Patientinnen und Patienten es nicht sofort bemerken, kann eine gedämpfte Nase tiefgreifende Auswirkungen auf das körperliche und seelische Wohlbefinden haben.“
Mehr als Statistik
Die Studie zeigt, dass es sich nicht um ein Randphänomen handelt. Hinter jeder Zahl stehen Menschen, die ein Stück ihrer Lebensqualität verloren haben – oft ohne es selbst zu merken. Die Pandemie hat viele sichtbare Narben hinterlassen. Der schwindende Geruchssinn gehört zu den unsichtbaren.
Kurzinfo: Langzeitfolgen für den Geruchssinn
- Studie mit 3.535 Erwachsenen in den USA
- Geleitet von der NIH-RECOVER-Initiative, unterstützt durch NYU Langone Health
- 80 Prozent der Infizierten mit subjektiven Problemen zeigten im Test deutliche Einschränkungen
- 23 Prozent davon waren schwer oder vollständig beeinträchtigt
- 66 Prozent der Infizierten ohne subjektive Beschwerden ebenfalls auffällig
- Auch 60 Prozent der Nicht-Infizierten mit Einschränkungen
- Methode: 40-Düfte-Test (UPSIT), Goldstandard der Riechdiagnostik
- Folgen: erhöhtes Risiko für Depressionen, Appetitverlust, Gefahren im Alltag
- Potenzielle Therapien: Vitamin A, Riechtraining
- Veröffentlichung: JAMA Network Open, 25. September 2025
Originalpublikation:
Leora I. Horwitz et al.,
Olfactory Dysfunction After SARS-CoV-2 Infection in the RECOVER Adult Cohort,
in: JAMA Network Open 2025;8;(9):e2533815.
DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2025.33815
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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