Warum Ostantarktika im Inneren schneller taut als an den Küsten

Warum Ostantarktika im Inneren schneller taut als an den Küsten

Das Kalte Herz der Antarktis galt als Bastion gegen den Klimawandel – doch nun erweist es sich die Ostantarktis als mögliche Achillesferse des Eiskontinents.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


Wer an die Antarktis denkt, stellt sich endlose Eiswüsten vor, die trotz Klimawandel kaum verändert wirken. Doch ein neuer Blick in ihr Inneres zeigt ein alarmierendes Bild: Ausgerechnet das Zentrum Ostantarktikas erwärmt sich stärker und früher als die Küstenregionen. Eine internationale Forschungsgruppe unter Leitung von Naoyuki Kurita von der Nagoya University hat dieses Phänomen nun in Nature Communications dokumentiert – und die Ursache gefunden.

Verborgene Wärme im Eisinneren

Während die meisten Messungen bisher an Küstenstationen durchgeführt wurden, blieb das Innere des Kontinents lange ein weißer Fleck. Dort gibt es nur vier bemannte Stationen, zwei davon mit verlässlichen Langzeitdaten: die Amundsen-Scott-Station am Südpol und die Vostok-Station tief in Ostantarktika. Deshalb war kaum bekannt, wie sich die Temperaturen im Herzen des Kontinents entwickeln.

Das Team um Kurita nutzte drei unbemannte Wetterstationen – Dome Fuji, Relay und Mizuho –, deren Daten seit den 1990er Jahren gesammelt wurden. So entstand ein 30-Jahres-Datensatz, der erstmals verlässlich zeigt, was sich im Eis abspielt: Temperaturen stiegen dort im Schnitt um 0,45 bis 0,72 Grad Celsius pro Jahrzehnt – deutlich schneller als der globale Durchschnitt.

Warme Strömungen aus dem Indischen Ozean

Die entscheidende Spur fanden die Forscherinnen und Forscher im südlichen Indischen Ozean. Dort verstärken sich Temperaturunterschiede zwischen warmem und kaltem Wasser. Das verändert die atmosphärische Zirkulation: Tiefdruckgebiete in mittleren Breiten und Hochdruckzonen über der Antarktis erzeugen eine Art Sog, der warme Luftmassen tief ins Innere des Kontinents zieht.

Professor Kurita erklärt: „Während die inneren Regionen eine rasche Erwärmung zeigen, konnten wir an den Küstenstationen bisher keine statistisch signifikanten Erwärmungstrends feststellen.“ Doch die Prozesse halten seit drei Jahrzehnten an – ein deutliches Warnsignal.

Ein unterschätztes Risiko

Die Modelle, die bislang zur Vorhersage der Klimaentwicklung in der Antarktis genutzt werden, erfassen diesen Mechanismus nicht. Damit besteht die Gefahr, dass Prognosen zu konservativ sind und der Eisschwund unterschätzt wird. „Der verstärkte Warmluftfluss über 30 Jahre deutet darauf hin, dass bald auch Küstenstationen wie Syowa eine messbare Erwärmung und Oberflächenschmelze erleben könnten“, so Kurita.

Für die Weltgemeinschaft ist das von enormer Bedeutung: In Ostantarktika lagern rund 70 Prozent des weltweiten Süßwassers. Schon kleine Veränderungen könnten den globalen Meeresspiegel spürbar anheben.

Sammeln unter Extrembedingungen

Die Arbeit der Forscher ist auch logistisch eine Leistung. Temperaturen weit unter minus 50 Grad Celsius, extreme Winde und Isolation machen jede Messung zu einer Herausforderung. Unbemannte Stationen halfen, diese Lücke zu schließen. 30 Jahre kontinuierlicher Daten sind in der Antarktis ein kostbarer Schatz.

Kuritas Team hat damit gezeigt, dass der „blinde Fleck“ im Inneren des Kontinents keineswegs stabiler ist als die Küsten. Im Gegenteil: Die vermeintlich sichere Eisfestung zeigt Risse, noch bevor die Küsten sichtbar nachgeben.


Kurzinfo: Erwärmung im Herzen Ostantarktikas

  • Studie von Nagoya University, veröffentlicht in Nature Communications
  • Daten aus drei unbemannten Wetterstationen seit 1993
  • Temperaturanstieg: 0,45–0,72 °C pro Jahrzehnt – schneller als globaler Durchschnitt
  • Ursache: veränderte Zirkulation durch Erwärmung im südlichen Indischen Ozean
  • Mechanismus zieht warme Luft ins Innere des Kontinents
  • Küstenregionen bisher kaum betroffen – aber Warnsignale vorhanden
  • Modelle erfassen diesen Prozess bislang nicht, Prognosen daher unterschätzt
  • Bedeutung: Ostantarktika enthält 70 Prozent des weltweiten Süßwassers
  • Schmelze dort hätte gravierende Folgen für den Meeresspiegel
  • Messungen unter extremen Bedingungen über 30 Jahre hinweg gesammelt

Originalpublikation:

Originalpublikation: Naoyuki Kurita, Summer warming in the East Antarctic interior triggered by southern Indian Ocean warming, in: Nature Communications (22-Jul-2025)

DOI 10.1038/s41467-025-61919-3//

Über den Autor / die Autorin

Arty Winner
Arty Winner
Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.

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