Alt werden ohne Entzündung? Was Lemuren über das menschliche Altern verraten

Alt werden ohne Entzündung? Was Lemuren über das menschliche Altern verraten

Entzündungen nehmen mit dem Alter automatisch zu – zumindest beim Menschen. Bei manchen Primaten-Arten wie den Lemuren ist es jedoch anders, manchmal nimmt die Entzündungsrate sogar ab. Doch ist das rein genetisch bedingt, oder hat es auch viel mit der Lebenweise und den Umweltbedingungen zu tun?

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


Beim Menschen scheint es fast zwangsläufig: Mit zunehmendem Alter entzündet sich der Körper auf leiser Flamme. Diese chronische, unterschwellige Entzündung – wissenschaftlich als „inflammaging“ bekannt – gilt als Risikofaktor für viele Alterskrankheiten. Doch vielleicht ist sie gar nicht so unausweichlich, wie lange angenommen. Denn ausgerechnet Lemuren, enge Verwandte des Menschen im Stammbaum der Primaten, scheinen ganz anders zu altern.

Das ist das Ergebnis einer neuen Studie der biologischen Anthropologin Elaine Guevara, die an zwei Lemurenarten – dem Katta und dem Sifaka – das Alterungsverhalten auf molekularer Ebene untersucht hat. Ihr Fazit: Inflammaging ist womöglich keine biologische Grundausstattung aller Primaten. Und vielleicht nicht einmal aller Menschen.

Kein Anstieg, kein Stress – Lemuren altern anders

Für ihre Analyse griff Guevara auf zwei nahe verwandte Lemurenarten zurück, die sich in ihrer Lebensweise jedoch unterscheiden. Kattas leben schneller, altern zügiger und werden meist nicht so alt wie Sifakas, die ein eher gemächliches Leben führen. Diese Unterschiede machten sie zu idealen Vergleichsmodellen.

Untersucht wurden zwei bekannte Marker: oxidative Stressparameter und Entzündungswerte im Urin. Das Ergebnis war verblüffend.
Entgegen unserer Vorhersagen zeigte keine der beiden Arten altersbedingte Veränderungen bei oxidativem Stress. Und auch bei den Entzündungswerten gab es keine Alterseffekte – im Gegenteil: Bei Kattas sahen wir tendenziell sogar einen Rückgang“, berichtet Guevara.

Das widerspricht der gängigen Annahme, dass Entzündungen mit dem Alter automatisch zunehmen – zumindest beim Menschen.

Die Ausnahme bestätigt die Regel – oder nicht?

Die Erkenntnisse fügen sich in ein wachsendes Bild: Auch bei anderen nicht-menschlichen Primaten wurden in den letzten Jahren Hinweise auf ein anderes Altern beobachtet. Laut Christine Drea, Professorin für evolutionäre Anthropologie und Mitautorin der Studie, stellt sich deshalb eine grundlegende Frage:
Unsere Daten deuten darauf hin, dass inflammaging kein universelles Merkmal von Primaten ist. Vielleicht ist es nicht einmal ein universelles Merkmal des Menschen.

Damit rückt ein anderer Aspekt in den Fokus: Möglicherweise sind es nicht allein unsere Gene, sondern auch unsere Umwelt, unsere Ernährung, unsere Lebensweise, die inflammaging überhaupt erst verursachen – oder verstärken.

Urin statt Blut – sanfte Wissenschaft im Lemurenzentrum

Die Untersuchung war nicht nur inhaltlich anspruchsvoll, sondern auch logistisch sensibel. Denn am Duke Lemur Center, wo viele der Tiere leben, ist jede Forschung strikt nicht-invasiv. Das bedeutete: keine Blutproben.
Am Anfang ging es vor allem ums Planen, Vergleichen und Entscheiden, wie wir die Proben nehmen können“, erzählt Drea. Schließlich fiel die Wahl auf Urin – eine schonende, aber aufschlussreiche Quelle für Biomarker.

Guevara betont, dass diese Ergebnisse erst der Anfang sind.
Es gibt viele gute Gründe, anzunehmen, dass Altern in Gefangenschaft und in freier Wildbahn unterschiedlich verläuft. Das allein ist aufschlussreich, wenn wir untersuchen wollen, ob menschliche Entzündungen angeboren oder umweltbedingt sind.

Altersforschung mit Zukunftspotenzial

Die Studie wirft ein neues Licht auf die Frage, warum der menschliche Körper im Alter chronisch erkrankt. Sie könnte helfen, individuelle Alterungsprozesse besser zu verstehen – und vor allem: sie gezielter zu beeinflussen.

Angesichts einer rasch alternden Weltbevölkerung, so Guevara, sind solche Erkenntnisse besonders wertvoll.
Diese Einsichten sind entscheidend, wenn es darum geht, Behinderung im Alter zu verringern und die Lebensqualität in späteren Jahren zu verbessern.


Kurzinfo – Lemuren altern anders

  • Studie von: Elaine Guevara (University of North Carolina) & Christine Drea (Duke University)
  • Untersuchte Arten: Kattas (ring-tailed lemurs) und Sifakas
  • Ort: Duke Lemur Center, USA
  • Methode: Analyse altersbedingter Marker im Urin (oxidativer Stress & Entzündung)
  • Ergebnis: Keine Zunahme altersbedingter Entzündung – teils sogar Rückgang
  • Schlussfolgerung: Inflammaging ist kein universelles Merkmal bei Primaten
  • Relevanz für Menschen: Hinweise auf Umwelt- statt Gen-Einflüsse bei Alterskrankheiten
  • Ausblick: Weitere Forschung an wildlebenden Lemuren geplant
  • Veröffentlichung: Journal of Comparative Physiology B, Juli 2025

Originalpublikation:
Elaine E. Guevara et al.,
„Comparison of age-related inflammation and oxidative stress in two lemur species“,
Journal of Comparative Physiology B, 2. Juli 2025,
DOI: 10.1007/s00360-025-01619-y

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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