Wenn Einkommen umverteilt werden, steigt zunächst die Nachfrage nach Fleisch, Milchprodukten und verarbeiteten Lebensmitteln, deren Produktion besonders viel Fläche beansprucht.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
Mehr Gerechtigkeit gilt als Ziel jeder sozialen Politik – doch sie hat ihren Preis. Wer ärmeren Haushalten mehr Kaufkraft verschafft, löst nicht nur Konsumfreude aus, sondern auch zusätzlichen Flächenverbrauch. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des ZEW Mannheim in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der ESSEC Business School. Ihr Fazit: Wo Einkommen gleichmäßiger verteilt sind, wächst kurzfristig der ökologische Fußabdruck.
Gleichheit mit Nebenwirkungen
„Weniger Ungleichheit, mehr Landverbrauch“ – diese scheinbar paradoxe Formel beschreibt den zentralen Befund der Forschenden. Grundlage ihrer Analyse sind Einkommens- und Konsumdaten von über 200.000 US-Haushalten zwischen 1996 und 2022. Wer plötzlich mehr Geld hat, konsumiert meist mehr Fleisch und tierische Produkte – und damit indirekt auch mehr Fläche. „Der Haupttreiber des Landverbrauchs ist der ansteigende Fleischkonsum, der zu mehr benötigter Weide- und Anbaufläche führt. Da der Fleischkonsum mit ansteigendem Einkommen nicht immer weiter im gleichen Maße zunimmt, sinkt der durchschnittliche Landverbrauch pro Dollar ab einem gewissen Einkommenslevel jedoch wieder,“ erklärt Ko-Autor Prof. Lutz Sager von der ESSEC Business School.
Das bedeutet: In den unteren Einkommensgruppen steigt der ökologische Fußabdruck zunächst deutlich, während er bei Wohlhabenden stagniert oder sogar sinkt. Eine vollständige Einkommensgleichheit würde laut den Forschenden den Flächenverbrauch in den USA um rund 3,2 Prozent erhöhen – das entspricht 189.000 Quadratkilometern, also etwa der halben Fläche Deutschlands.
Sozialpolitik mit ökologischem Nebeneffekt
Was auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, lässt sich ökonomisch erklären. Wer bisher wenig verdient, hat auch weniger konsumiert – und oft auf klimaschädliche Produkte verzichtet, weil sie teuer sind. Wenn nun Einkommen umverteilt werden, steigt die Nachfrage nach Fleisch, Milchprodukten und verarbeiteten Lebensmitteln, deren Produktion besonders viel Fläche beansprucht.
„Eine Umverteilung von Einkommen hin zu ärmeren Haushalten kann kurzfristig den Druck auf die Nutzung von Land erhöhen,“ sagt ZEW-Forscher Tim Kalmey. „Das zeigt: Umwelt- und Verteilungsziele stehen nicht automatisch im Einklang. Um die nationalen und globalen Biodiversitätsziele zu erreichen, braucht es beispielsweise zusätzliche Naturschutzmaßnahmen, wenn zeitgleich die Einkommensungleichheit reduziert wird.“
Damit wird deutlich: Soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit sind nicht automatisch Verbündete – zumindest nicht kurzfristig.
Technologie hilft, aber sie reicht nicht
Die Forschenden betonen jedoch, dass technologische Fortschritte den ökologischen Schaden bisher abfedern konnten. Zwischen 1996 und den frühen 2010er-Jahren sank der durchschnittliche Flächenverbrauch pro Haushalt trotz wachsender Wirtschaft. Effizientere Produktionsprozesse, globale Lieferketten und nachhaltigere Landwirtschaft verhinderten, dass der steigende Konsum den Landbedarf explodieren ließ.
Wäre der technische Stand von 1996 geblieben, hätte sich die durchschnittliche Landnutzung von 4,8 auf 7,5 Hektar erhöht – ein Plus von 65 Prozent. Tatsächlich lag sie 2022 bei 4,6 Hektar. Doch seit 2014 sei diese Entlastung durch Technik an ihre Grenzen gestoßen, warnen die Forschenden. Vor allem der wieder zunehmende Fleischkonsum mache die Fortschritte zunichte.
Auch Europa im Blick
Obwohl die Untersuchung auf US-Daten basiert, sehen die Wissenschaftler Parallelen zu europäischen Ländern. „Wir gehen davon aus, dass sich die Ergebnisse auch auf europäische Verbraucherinnen und Verbraucher übertragen lassen, da der grundsätzliche Zusammenhang zwischen Konsumverhalten und Einkommen in westlichen Industrieländern ähnlich ist,“ erklärt Dr. Jasper Meya vom iDiv. „Zudem deuten die vorliegenden Studien mit europäischen Haushaltsdaten auf einen ähnlichen strukturellen Zusammenhang zwischen Biodiversitätsfußabdruck und Haushaltseinkommen hin.“
Für Deutschland bedeutet das: Sozialpolitik, die Kaufkraft stärkt, muss ökologisch flankiert werden – etwa durch Biodiversitätsschutz, CO₂-Bepreisung oder Aufklärung über nachhaltige Ernährung. Nur dann kann Umverteilung sozial gerecht und umweltverträglich sein.
Wachstum, Wohlstand, Verantwortung
Am Ende bleibt die Erkenntnis: Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit folgen unterschiedlichen Logiken. Mehr Einkommen für alle kann kurzfristig mehr Ressourcen kosten – langfristig aber bietet sie Chancen für ökologisches Bewusstsein. Denn wer nicht mehr ums tägliche Überleben kämpft, kann sich eher nachhaltiges Verhalten leisten.
Kurzinfo: Wenn Umverteilung die Umwelt belastet
• Neue Studie des ZEW Mannheim, iDiv und der ESSEC Business School
• Datengrundlage: über 200.000 US-Haushalte (1996–2022)
• Mehr Einkommensgleichheit erhöht kurzfristig den Flächenverbrauch
• Haupttreiber: steigender Fleischkonsum
• Schätzung: +3,2 Prozent Flächenverbrauch bei vollständiger Gleichheit
• Technologie kompensiert nur begrenzt Konsumzuwächse
• Effizienzgewinne senkten Verbrauch bis 2014 deutlich
• Übertragbar auf Europa und Deutschland
Originalpublikation:
Tim Kalmey et al., Biodiversity Engel Curves:
Estimating How Income and Inequality Shape Consumption Driven Biodiversity Loss,
In: ZEW Discussion Paper No. 25-041 / 08/2025 ftp.zew.de/pub/zew-docs/dp/dp25041.pdf
Über den Autor / die Autorin

- Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.
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