Die neuen Daten sind für die Wolkenforschung deshalb so wertvoll, weil sie die bisherige Annahme infrage stellen, dass vor allem mineralischer Staub – etwa aus Wüsten – für die Bildung von Eiskeimen verantwortlich sei. Doch offenbar beeinflussen auch Einzeller aus dem Ozean das Wetter über der Südhalbkugel.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
Der Ozean scheint auf den ersten Blick ein ziemlich unbeteiligter Geselle zu sein, wenn es um die Wetterbildung in luftiger Höhe geht. Doch neue Forschungsergebnisse zeigen: In seinem salzigen Wasser verbirgt sich ein biochemisches Uhrwerk, das die Wolkenbildung in den entlegensten Regionen der Erde steuert – mit Zucker. Genauer gesagt: mit winzigen Partikeln biologischen Ursprungs, die Eiskeime bilden und damit über Niederschlag, Sonnenstrahlung und letztlich auch das Klima mitentscheiden.
Wenn Meeresmikroben Zucker streuen
Über dem Südlichen Ozean herrscht Sauberkeit – zumindest in atmosphärischer Hinsicht. Menschliche Emissionen sind hier rar. Und doch zeigt sich genau dort ein rätselhaft starker Effekt in der Eisbildung von Wolken, der sich bislang nur schwer mit den üblichen Klimamodellen erklären ließ. Nun hat ein Forschungsteam vom Leipziger TROPOS-Institut gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Norwegen eine neue Spur entdeckt: Mehrfachzucker aus dem Meer sind offenbar der fehlende Faktor.
„Während der Polarstern-Expedition PS106 2017 hatten wir bei Proben in der Arktis erhöhte Glukose-Konzentrationen beobachtet und daraus geschlossen, dass diese Glukose ein Indikator für Eiskeime im Meerwasser sein kann“, erklärt Dr. Sebastian Zeppenfeld vom TROPOS. „Der Einfachzucker Glukose ist ein Abbauprodukt von Mehrfachzuckern. Für uns lag daher nah, dass Mehrfachzucker das fehlende Puzzleteil sein könnten“.
Ein Kosmos auf der Wasserhaut
Im Oberflächenfilm der Ozeane lebt eine winzige, aber enorm einflussreiche Gemeinschaft: Bakterien, Algen, Viren, Pilze und andere Mikroorganismen bilden dort eine lebendige Grenzschicht zwischen Wasser und Luft. Von dort aus gelangen biologische Makromoleküle durch Gischt und Verdunstung in die Atmosphäre. Besonders spannend für die aktuelle Studie: marine Pilze und einzellige Organismen, die spezielle Polysaccharide – also Mehrfachzucker – produzieren.
„In dieser Studie untersuchten wir die Eiskeimbildung von marinen Polysacchariden, die aus marinen Pilzen und Einzellern stammen, sowie von kommerziell erhältlichen Standardpolysacchariden“, berichtet Dr. Susan Hartmann, die am TROPOS die Versuche zur Eisbildung im Labor leitete. „Unsere Datensammlung zeigt, welche Substanzen bei welchen Temperaturen zur Eisbildung beitragen“.
Biologischer Frost statt Mineralstaub
Die neuen Daten sind für die Wolkenforschung deshalb so wertvoll, weil sie die bisherige Annahme infrage stellen, dass vor allem mineralischer Staub – etwa aus Wüsten – für die Bildung von Eiskeimen verantwortlich sei. In der Südhemisphäre, wo es kaum Wüsten gibt, dominieren bei Temperaturen zwischen -15 und -20 Grad Celsius ganz andere Akteure: die biologischen Mehrfachzucker. Sie sind dort die Hauptverursacher der Eisbildung.
„Wir konnten in unseren Simulationen zeigen, dass bei -15 bis -16 Grad Celsius die Mehrfachzucker über gigantischen Flächen der Ozeane in der sauberen Südhemisphäre die wohl bedeutendsten Eiskeime sind“, sagt Dr. Roland Schrödner vom TROPOS. „Das ist eine neue und für die Klimamodelle wichtige Erkenntnis“. Die Daten wurden mithilfe des globalen Atmosphärenchemietransportmodells TM5 analysiert.
Zukunft der sauberen Wolken
Diese Erkenntnisse sind nicht nur eine wissenschaftliche Fußnote. Sie zeigen vielmehr, dass die Rolle biologischer Partikel in der Atmosphäre künftig stark zunehmen könnte – gerade dann, wenn der Mensch seine Emissionen zurückfährt. In einer „sauberen“ Atmosphäre reagieren Wolken nämlich besonders sensibel auf natürliche Partikel. Deshalb rücken die atmosphärischen Prozesse über den entlegenen Ozeanen ins Zentrum der Klimaforschung.
Die Studie ist Teil eines umfangreichen Forschungskomplexes, der Expeditionen in Arktis, Antarktis und tropischen Regionen umfasst. Künftig sollen neue Missionen – etwa die HALO-South-Kampagne ab Juli 2025 – noch genauere Einblicke liefern. Dann wird ein deutsches Forschungsflugzeug unter Leitung des TROPOS das Zusammenspiel von Aerosolen, Wolken und Strahlung über dem Südlichen Ozean vermessen.
Was früher als flüchtiges Wetterphänomen galt, entpuppt sich nun als präzise geregeltes Zusammenspiel zwischen Meer und Atmosphäre – orchestriert von Pilzen, Algen und ihren Zuckern. Das Klimasystem der Erde ist eben oft komplexer als gedacht. Manchmal reicht ein bisschen Süßstoff, um das große Ganze in Bewegung zu setzen.
Kurzinfo: Eiskeime aus dem Meer:
- Studie von: TROPOS Leipzig & Arctic University Tromsø
- Ort der Wirkung: Südhalbkugel, besonders über dem Südlichen Ozean
- Zentrale Akteure: Meeresmikroben (Pilze, Einzeller), die Mehrfachzucker (Polysaccharide) produzieren
- Funktion: Initiieren Eisbildung in Wolken bei -10 bis -20 Grad Celsius
- Relevanz: Mehrfachzucker sind dort wichtiger als Mineralstaub – anders als in der Nordhalbkugel
- Bedeutung für Klimamodelle: Biogene Partikel müssen stärker berücksichtigt werden
- Messkampagnen: Arktis-, Antarktis- und Tropenexpeditionen sowie geplante HALO-South-Kampagne 2025–2027
- Ziel: Besseres Verständnis der Wolkenbildung in sauberer Atmosphäre
Weitere Informationen:
- EU-Projekt „Clouds and climate transitioning to post-fossil aerosol regime“ (CleanCloud)
https://projects.au.dk/cleancloud
- TROPOS-Laboruntersuchungen zur Sekundären Eisbildung
https://www.tropos.de/forschung/aerosol-wolken-wechselwirkungen/prozessstudien-auf-kleinen-zeit-und-raumskalen/aerosol-und-wolken-mikrophysikalische-prozesse/laboruntersuchungen-zur-sekundaeren-eisbildung
Über den Autor / die Autorin

- Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.
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